Assad-Regime immer brutaler - Westen zögert
15. Juni 2011Syriens Präsident Baschar al-Assad hat die Entwicklungen im "arabischen Frühling" offensichtlich genau analysiert und seine eigenen Schlüsse gezogen: Er muss die Staatsmacht, vor allem die Armee, geschlossen auf seiner Seite halten und will auf keinen Fall eine Spaltung des Landes wie in Libyen tolerieren. So rollen denn auch seine Panzerkolonnen durch Städte und Dörfer im Norden und Nordwesten des Landes. Kein Tag und keine Nacht vergeht ohne Razzien seiner Truppen. In der Hauptstadt Damaskus lässt man tausende regierungstreue Demonstranten aufmarschieren.
Offensive im Norden und Nordwesten
Nach ihrem Einmarsch in die Städte Dschisr al-Schogur und Maarat al-Noaman ist die Armee in zahlreiche Dörfer der Provinz Idlib vorgestoßen. Das bestätigte ein Sprecher der Regimegegner an der syrisch-türkischen Grenze am Mittwoch (15.06.2011) in einem Telefoninterview der Nachrichtenagentur dpa. Nur ein kleiner Teil der rund 45.000 Einwohner von Dschisr al-Schogur sei bisher in die Türkei geflüchtet, berichtete der Sprecher. Die meisten Bewohner der Stadt, die von Soldaten in den vergangenen Tagen mit schweren Waffen angegriffen wurden, hätten dagegen in den umliegenden Dörfern Zuflucht gesucht.
Da sie sich wegen der Razzien der Armee in diesen Dörfern nun aber auch nicht mehr sicher fühlten, sei mit einem weiteren Zustrom von Flüchtlingen in die Türkei in den kommenden Tagen zu rechnen. Seit Dienstag hätten erneut rund 700 Syrer die Grenze überquert. Damit sei die Zahl der Flüchtlinge in der Türkei auf mehr als 9.000 angestiegen.
Geflohene Syrer hatten berichtet, Armee und Milizen hätten in einer "Taktik der verbrannten Erde" Vieh getötet und Felder versengt. Es habe viele willkürliche Festnahmen und Verschleppungen gegeben. Flüchtlinge aus Maarat al-Noaman teilten den Helfern an der Grenze mit, beim Einmarsch der Assad-Truppen in ihre Stadt vor etwa zwei Tagen seien auch etliche Soldaten desertiert. Darauf hatten jüngst auch Video-Aufnahmen im Internet hingedeutet, deren Quellen jedoch unklar blieben.
Staatspropaganda: "Strafe gegen Terroristen"
In den Staatsmedien ist von einer "Strafexpedition" der Armee in der Provinz Idlib die Rede, oder von einer "Operation gegen bewaffnete Terroristen". Die Nachrichtenagentur Sana meldete, viele Bewohner seien in ihre Häuser zurückgekehrt, "nachdem die Armee die Ortschaften von den Elementen der bewaffneten terroristischen Vereinigungen gesäubert"
habe.
Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind in Syrien bei den Unruhen der vergangenen Wochen etwa 1.100 Menschen ums Leben gekommen; etwa 10.000 Menschen seien seit Mitte März willkürlich festgenommen worden, heißt es im Bericht des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte. Er wurde am Mittwoch dem UN-Menschenrechtsrat in Genf vorgelegt. Der Bericht spricht von "ausufernder Gewalt durch syrische Sicherheitskräfte gegen Zivilisten". Auf Zivilisten sei scharf geschossen worden, etwa auch von Scharfschützen, die sich auf Dächern öffentlicher Gebäude verschanzt hätten.
Und die Welt schaut zu
Die Protestwelle in der arabischen Welt hatte vor sechs Monaten begonnen. Mitte März war auch Syrien erfasst worden. Die internationale Kritik an dem syrischen Unterdrückungssystem lässt nicht nach, aber die flammenden Appelle verhallen bislang ungehört und wirkungslos. Von einem militärischen Eingreifen wie etwa in Libyen ganz zu schweigen: Aber auch die internationale Diplomatie gibt ein bedauernswertes Bild ab. So könnte Assad momentan lediglich die von den europäischen Staaten und den USA verhängten Sanktionen zu spüren bekommen.
Seit Wochen versuchen die Europäer im UN-Sicherheitsrat mit Rückendeckung der USA, Syrien wegen der brutalen Niederschlagung der Protestbewegung wenigstens verurteilen zulassen. Doch die Vertreter der Veto-Mächte China und Russland befanden es dem Vernehmen nach nicht einmal für nötig, sich an den Gesprächen über einen Textentwurf für eine gemeinsame Resolution zu beteiligen.
In mühsamer Überzeugungsarbeit habe man nun erstmal die skeptischen Schwellenländer Brasilien, Indien und Südafrika bearbeitet, verlautete von westlichen Diplomaten. Auch die jüngsten vorsichtigen Kontakte zwischen Syrien und der Türkei wurden zwar aufmerksam verfolgt, aber eher zurückhaltend kommentiert. Immerhin reiste eine hochrangige syrische Delegation nach Ankara.
"Kultur militärischer Zurückhaltung"
Bundesaußenminister Guido Westerwelle setzt ungeachtet der Gewalt in Syrien auf eine politische Lösung. Es bleibe in der Berliner Außenpolitik bei einer "Kultur der militärischen Zurückhaltung", sagte der FDP-Politiker im ZDF. Man könne nicht jedes Mal, wenn Unrecht geschehe, mit der Armee eingreifen, "selbst, wenn es uns das Herz zerreißt in Anbetracht von Bildern, die wir sehen".
Autor: Siegfried Scheithauer (dpa,afp,dadp)
Redaktion: Marko Langer