Armin Mueller-Stahl: Ein Mann, viele Talente
16. Dezember 2020Sein Werdegang vom DEFA-Star in der DDR zum erfolgreichen deutschen Schauspieler in Hollywood war lang und steinig - und ist wohl eine der ungewöhnlichsten Schauspielkarrieren seit 1945. Sie spiegelt die deutsch-deutsche Geschichte wie kaum eine andere Künstler-Biographie wider.
Geboren wird Armin Mueller-Stahl in Ostpreußen, am 17. Dezember 1930. Der vielseitig begabte Junge wächst in Tilsit auf, als drittes Kind einer Kunst liebenden Familie. Mit seinen Geschwistern verbringt er eine unbeschwerte Kindheit. Bis der Zweite Weltkrieg ausbricht. Sein Vater kommt ums Leben, die Mutter - eine Ärztin - muss die fünf Kinder allein durchbringen.
Die Schule in Prenzlau kann der junge Armin erst nach Kriegsende abschließen. Danach haut er 1948 nach Berlin ab und studiert Musikwissenschaft und Violine. Als er das Examen in der Tasche hat, wechselt Armin Mueller-Stahl zur Schauspielerei. Die Laufbahn eines Konzertgeigers behagt ihm nicht.
DDR-Laufbahn zwischen den Welten
Seine Ausbildung an der Schauspielschule in Ost-Berlin findet allerdings ein jähes Ende. Er fliegt wegen "mangelnder Begabung" raus, wie ihm attestiert wird. Aber Mueller-Stahl ist hartnäckig, ein Sturkopf. Er bekommt erste kleine Rollen. 1952 wird er nach einem Vorsprechen bei Helene Weigel ins Ensemble des Brechttheaters am Schiffbauerdamm aufgenommen. Sein erstes festes Engagement. Kurz darauf wechselt er zur Berliner Volksbühne.
Mueller-Stahl steigt in kurzer Zeit zum beliebtesten und bestbezahlten Schauspieler der DDR auf. Er spielt viel Theater, und dreht Filme fürs Kino und das DDR-Fernsehen.
Als Aushängeschild für die Kulturpolitik des Arbeiter- und Bauernstaates wird er Anfang der 1970er-Jahre in der TV-Serie "Das unsichtbare Visier" als "sozialistischer Anti-James-Bond" aufgebaut. "Einen Starrummel wie im Westen gab es damals nicht", berichtet er später in Interviews. "Aber es gab Zeiten, in denen ich Waschkörbe voller Autogrammwünsche bekam."
Grenzüberschreitender Erfolg im Westen
In der Bundesrepublik wird Armin Mueller-Stahl durch Kinofilme wie "Nackt unter Wölfen" (1963) und "Jakob, der Lügner" (1974) berühmt. Stoffe, die sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands auseinandersetzen, sind dem engagierten Schauspieler Zeit seines Lebens wichtig.
Als die beliebte Serie "Das unsichtbare Visier" politischer werden sollte, stieg Mueller-Stahl aus. 1976 gehört Mueller-Stahl zu denjenigen prominenten DDR-Künstlern und Musiker, die die Resolution gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann unterschreiben. Dem regimekritischen Liedermacher war nach einer Konzerttournee in West-Deutschland die Wiedereinreise verwehrt worden. Ein klares Signal an die Parteiführung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED): Von da an bekommt Armin Mueller-Stahl in der DDR kaum noch Rollen angeboten. Diese schwere Zeit hat er später in seinem ersten Roman "Verordneter Sonntag" (1981) verarbeitet.
1980 übersiedelt der Schauspieler mit seiner Frau und seinem Sohn Christian schließlich in den Westen. Regisseur Rainer Werner Fassbinder hatte Mueller-Stahl längst als bemerkenswerten Charakterkopf in den DDR-Filmen entdeckt und gibt ihm 1981 die Hauptrolle in dem Kinofilm "Lola", mit Barbara Sukowa als Filmpartnerin.
Dieser Kinofilm - heute ein Klassiker des deutschen Films - ist der Beginn seiner zweiten Karriere im Westen. Danach dreht Armin Mueller-Stahl mit bekannten europäischen Regisseuren wie Andrzej Wajda, Bernhard Wicki, Axel Corti und Agnieszka Holland.
Hollywood: Die dritte Karriere
Keine zehn Jahre später zieht es Armin Mueller-Stahl in die USA, er braucht und sucht neue Herausforderungen. Sein schauspielerischer Eintritt in die Neue Welt der US-amerikanischen Filmstudios ist glanzvoll: Star-Regisseur Costa Gavras ("Z") besetzt ihn für seinen Kinofilm "Music Box", mit US-Schauspielerin Jessica Lange in der weiblichen Hauptrolle. Ein intellektueller Kraftakt, da der deutsche Schauspieler die englische Sprache nicht wirklich beherrscht.
In "Avalon" (1990), seinem zweiten US-amerikanischen Film, spielt er in der Hauptrolle einen eindrucksvollen Patriarchen, das Oberhaupt einer jüdischen Familie. Die Arbeit mit US-Regisseur Barry Levinson katapultiert den deutschen Schauspieler auf Anhieb in die Liga der internationalen Charakterschauspieler.
Aber trotz aller kommerziellen Erfolge behält sich Mueller-Stahl vor, auch mit unabhängigen Regisseuren und europäischen Filmemachern, die noch keinen großen Namen haben, zusammenzuarbeiten. Seine rührend-tragische Rolle des New Yorker Taxifahrers Helmut Grokenberger in Jim Jarmuschs "Night on Earth" (1991) ist längst zum Kult avanciert.
Karriere-Glanzpunkt als Thomas Mann
Selbst Regie geführt hat der Schauspiel-Profi nur einmal: für den Kinofilm "Gespräch mit dem Biest". Hier übernimmt er auch die Hauptrolle - zuvor hatte er auch das Drehbuch geschrieben. Darin spielt er den gealterten Doppelgänger Adolf Hitlers, der von US-amerikanischen Historikern auf seine Echtheit geprüft wird - eine mutige Gratwanderung zwischen Klamotte, Satire und Kammerspiel.
Sehr großen Erfolg hat Armin Mueller-Stahl 2001 in der Rolle des berühmten Schriftstellers Thomas Mann in dem Fernsehfilm von Heinrich Breloer "Die Manns - Ein Jahrhundertroman" (2001). Die Vornehmheit der Mann'schen Noblesse hat er offenbar von seiner adeligen Großmutter geerbt. Der in viele Sprachen übersetzte Dreiteiler wurde zum deutschen Exportschlager.
Malerei als Lebenswerk
Inzwischen sind ihm die Musik und vor allem seine Malerei wichtiger als die Schauspielerei. Auch die Bühnenarbeit ist ihm zu mühsam geworden: Lesungen, Konzerte, das gehört jetzt der Vergangenheit an. Für die Ewigkeit würden sowieso nur seine Gemälde und Zeichnungen bleiben, nicht seine Filme, sagte er 2015 mit einem Augenzwinkern im Interview mit der DW.
Lange Zeit hat der Schauspieler einen Großteil des Jahres in dem ehemaligen deutschen Emigrantenviertel Pacific Palisades bei Los Angeles gewohnt, wo sich Ende der 1930er-Jahre Thomas Mann, Bert Brecht, Lion Feuchtwanger und andere Exil-Künstler aus Europa niedergelassen hatten. Derzeit kann er nicht mehr dorthin reisen.
Sein Haus im norddeutschen Schleswig-Holstein hat er immer behalten. Der Blick auf die Ostsee bedeutet dem bodenständigen Ostpreußen ein Stück Heimat. Erst 2011 konnte er seine alte Heimatstadt Tilsit, heute das russische Sowetsk bei Kaliningrad, das erste Mal wieder besuchen.
In seinem Atelier in dem Dorf, wo die Telefonnummern noch vierstellig sind, widmet sich der Künstler Mueller-Stahl nur noch seinen Leidenschaften: der Malerei und der Musik. 2011 hat er seine erste CD mit eigenen Liedern produziert.
Filmangebote lehnt er seit Jahren höflich ab. "Wer immer nur funktioniert, entzieht sich dem Abenteuer des Lebens." Diese Lebensphilosophie hat Armin Mueller-Stahl beherzigt - und ist damit beeindruckende 90 Jahre alt geworden.