Argentiniens Weg aus der Krise
13. April 2005Sogar George W. Bush hat ihm schon gratuliert. In Argentinien gehe es wieder aufwärts, lobte der US-Präsident seinen argentinischen Kollegen. Fast zwei Jahre ist Néstor Kirchner, der am Donnerstag (14.4.) bei Bundeskanzler Schröder zu Gast ist, inzwischen im Amt und sitzt fester im Sattel als viele vorhergesagt hatten. Die Wirtschaft wächst wieder, im vergangenen Jahr um neun Prozent und damit mehr als vom Wirtschaftsministerium erwartet worden war. Dennoch warnen Fachleute wie Günther Köhne, Analyst bei der Dresdner Bank, vor zu viel Euphorie. "Die Erholung der Wirtschaft kommt von einem sehr niedrigen Niveau. Die notwendigen strukturellen Reformen wurden aber nicht angegangen."
Laut Köhne wird Argentinien im Ausland noch immer unter dem Einfluss der Umschuldung gesehen, in dem die Regierung sich nicht "besonders kooperativ" gezeigt habe. Aus Sicht vieler Argentinier hat Kirchner aber die umstrittene Umschuldung zu einem erfolgreichen Ende für das Land gebracht. In den Verhandlungen mit den internationalen Gläubigern hatte sich Kirchner, der sich selten um Umgangsformen und -konventionen schert, besonders hartnäckig und kompromisslos gezeigt. Letztendlich setzte Argentinien sein von den Anlegern in Deutschland, Italien oder Japan als "Enteignung" und "Diebstahl" gescholtenes Angebot durch. Zwei Drittel der Anleger tauschten ihre Anleihen gegen neue Titel ein und verzichteten dafür im Schnitt auf bis zu 75 Prozent des Nennwertes ihrer Papiere.
Das Verdienst von Kirchner?
In Argentinien macht sich nach Jahren der Krise wieder Optimismus breit. Und das obwohl nach wie vor rund 40 Prozent der Bevölkerung in tiefer Armut leben. Welchen Beitrag hat nun die Regierung Kirchner zu dem neuerlichen Wirtschaftsaufschwung geleistet? Darüber gehen die Meinungen auseinander, auch unter den deutschen Unternehmern in Argentinien. Nach Ansicht des VW-Chefs von Argentinien, Viktor Klima, hat Kirchner die Erwartungen "positiv übertroffen". Die Negativ-Szenarios, die von vielen Experten vorhergesagt worden waren, seien nicht eingetreten, sagt der ehemalige Bundeskanzler von Österreich, der sich in Argentinien sichtlich wohl fühlt.
Kirchner sei glaubwürdig gegen das Grundübel des Landes, die Korruption, vorgegangen. "Man mag das Populismus nennen, aber Kirchner hat außerdem eine Sprache gefunden, die auch der in tiefer Armut lebenden Bevölkerung zumindest das Gefühl vermittelt, dass die Regierung etwas für den sozialen Frieden tue", sagt Klima. Er habe sich als "sachlicher Fiskalpolitiker" dargestellt, der einen Haushalt aufgestellt habe, der eher als "konservativ" und nicht als "links-revolutionär" angesehen werden könne. Volkswagen, mit 2700 Mitarbeitern wichtigster Arbeitgeber in der Branche, will wie andere Automobilunternehmen wieder mehr in Argentinien investieren.
Kein klares Konzept
Keine besonders gute Meinung von Kirchner hat Winfried Wurster, der Chef von Deutz Agco Motores. "Die Wirtschaft funktioniert trotz der Politik." Die wirtschaftliche Erholung sei nicht das Verdienst von Kirchner. Vielmehr sei Argentinien - einer der wichtigsten Exporteure von Soja und Rindfleisch weltweit - Nutznießer der starken Impulse aus der Agrarwirtschaft gewesen, was sich wiederum positiv auf das Image des Präsidenten übertragen habe. Exportorientierte Unternehmen wie Deutz profitierten zudem von der Abwertung des Peso nach dem schweren wirtschaftlichen Einbruch 2001, als sich Argentinien zahlungsunfähig erklärte. "Zu Zeiten der Dollar-Peso-Parität lohnte sich Produktion in Argentinien nicht. Alles wurde importiert, absurderweise sogar Agrargüter. Unser Unternehmen stand Ende 2001 am Nullpunkt. Nur 27 Mitarbeiter konnte ich über die Krise retten", sagt Wurster. Inzwischen beschäftigt er wieder 70 Mann, die 2000 Motoren pro Jahr produzieren, Tendenz steigend.
Andere Geschäftsleute glauben ebenso, dass Kirchner schlicht von den für Argentinien günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Weltwirtschaft wie etwa hohe Rohstoffpreise profitieren konnte. "Argentinien ist ja ein enorm reiches Land. Es hat alle Ressourcen: landwirtschaftlichen Reichtum, Bergbau, eine im Vergleich zu anderen südamerikanischen Länder gute ausgebildete Bevölkerung. Wenn das Land nur einigermaßen vernünftig verwaltet wird, bietet es alle Chancen, die man sich vorstellen kann", sagt Karl Ostenrieder, der seit 42 Jahren in Argentinien lebt und dort zunächst über zwei Jahrzehnte die Deutsche Bank leitete und danach für den Unternehmensberater Roland Berger tätig war. Ostenrieder wirft Kirchner einen schroffen und autoritären Regierungsstil vor. "Es gibt nicht einmal ein mittelfristiges Konzept", kritisiert Ostenrieder. Der Experte der Dresdner Bank Köhne rechnet nur mit einer kurzfristigen Erholung der Wirtschaft. "In ein bis zwei Jahren könnte die argentinische Wirtschaft wieder Probleme bekommen." Erste Anzeichen gebe es schon: so sei Ende 2005 mit einer Inflation von 11 Prozent zu rechnen.
Die Mehrheit der politischen Beobachter in Argentinien rechnet aber damit, dass der Peronist Kirchner bei den Präsidentschaftswahlen 2007 gute Chancen auf eine Wiederwahl hat. Ein Alternative ist derzeit nicht in Sicht. "Die Opposition ist atomisiert", muss Ostenrieder einräumen.