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Keine Trauer um Videla

Marc Koch 18. Mai 2013

Der argentinische Diktator Jorge Rafael Videla starb im Alter von 87 Jahren in der Haft in Buenos Aires. Während seiner Herrschaft von 1976 bis 1981 sind bis zu 30.000 Menschen verschwunden oder getötet worden.

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Der frühere argentinische Diktator Videla (Foto: ap)
Jorge Rafael VidelaBild: dapd

Morgens, um kurz vor halb neun, haben sie ihn gefunden. Schon am Vorabend hatte er sich nicht wohl gefühlt und nichts essen wollen. Der Arzt konnte nichts feststellen, also wurde der Gefangene in seiner Zelle eingeschlossen. Wahrscheinlich hat er gebetet, auf Knien, neben seinem Bett - wie jeden Tag in all diesen Jahren. Dann ist er wohl ganz sanft eingeschlafen, gestorben an Altersschwäche in seinem Bett, mit 87 Jahren.

Bis zum Schluss keine Reue

Die vielen tausend Menschen, die der argentinische Diktator Jorge Rafael Videla auf dem Gewissen hat, hatten nicht so einen friedlichen Tod: Während seiner Schreckensherrschaft von 1976 bis 1981 wurden sie gejagt und entführt, in geheimen Folterzentren gequält, ihrer Kinder beraubt, auf Feldern verstümmelt, in Hinterhöfen erschossen oder aus Flugzeugen über dem Rio de la Plata abgeworfen. Wer dem Regime von Videla und seinen Generälen nicht passte, hatte kaum eine Chance: Gewerkschafter, Demokraten, Linke, Theologen - die Schergen des Diktators machten vor niemandem halt.

Über das Schicksal der Gefangenen ließ Videla eine Kommission entscheiden: Freilassung, Haft oder "disposición final", also Ermordung und Beseitigung. "Es ging um einen militärischen Begriff für das Ausmustern nutzloser Dinge", erklärt Videla in einem 2012 erschienenen Interviewbuch. Die Wortwahl beweist: Bis zum Schluss zeigte Jorge Videla keine Spur von Reue. Was er und seine Generäle getan hatten, habe getan werden müssen, erklärte er immer wieder: Mit dem Staatsstreich von 1976 sollte nach Videlas Worten eine "anarchische Gesellschaft" diszipliniert werden, um dem "demagogischen Populismus" zu entkommen und eine liberale Marktwirtschaft zu errichten. "Proceso de Reorganización Nacional" - "Prozess der nationalen Neuorganisation", so nannte Videla das. Bis zu 30.000 Menschen sind diesem Plan zum Opfer gefallen.

Videla - das Gesicht einer Diktatur- ist tot

Der schmutzige Krieg

Viele Argentinier begrüßten 1976 das Eingreifen der Militärs: Jahrelang hatten Extremisten, vor allem die linke Guerilla der "Montoneros", das Land terrorisiert. Nach Videlas Putsch hofften viele auf Ruhe und Frieden - bis der Diktator die Parteien verbot und das Parlament schließen ließ. Da war es für eine Umkehr schon zu spät. Der "schmutzige Krieg" der Diktatur gegen die eigenen Landsleute hatte begonnen.

Nach dem Ende der Diktatur wurde Videla zu lebenslanger Haft verurteilt. 1990 amnestierte der damalige Präsident Carlos Menem den Diktator, bis das Verfassungsgericht die Begnadigung 2010 aufhob. Seitdem gab es mehrere Prozesse gegen den alten Mann, angeklagt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wegen organisierten Kinderraubes, wegen Mordes und Entführungen. Die Verurteilungen zu langen Haftstrafen - zuletzt zu 50 Jahren wegen Kinderraubes - nahm Videla äußerlich nur mit einem Schulterzucken zur Kenntnis: Er fühlte sich immer als politischer Gefangener. Sein Starrsinn erlaubte keine Einsicht und keine Bitte um Verzeihung: "Wir mussten eine große Anzahl Menschen beseitigen", wiederholte er immer wieder.

Immer wieder machten Menschenrechtsaktivisten auf die Opfer der Diktatur in Argentinien aufmerksam (Foto: dpa)
Die Suche nach den Opfern der argentinischen Diktatur dauert bis heute anBild: picture-alliance/dpa

Vorbildliche Aufarbeitung

Seine Opfer und deren Nachkommen kämpfen bis heute in mühsamer Kleinarbeit um Gerechtigkeit und Genugtuung: "Er war ein schlechter Mensch. Er ist nie gekommen und hat sich nie für seine Taten entschuldigt", sagt Estela de Carlotto, Präsidentin der "Großmütter der Plaza de Mayo", einer Menschenrechtsorganisation, die bis heute nach Verschwundenen aus der Zeit der Diktatur sucht. Organisationen wie den "Großmüttern", aber auch der Politik des ehemaligen Präsidenten Néstor Kirchner (2003 - 2007) ist es zu verdanken, dass Argentinien die Geschichte seiner letzten Diktatur in den vergangenen Jahren aufarbeiten konnte. Der Täter Videla hat dazu nichts beigetragen.

Die Parlamentsabgeordnete Victoria Donda, die im Folterzentrum ESMA geboren und ihrer Mutter weggenommen worden war, betont: "Videla ist gestorben, nachdem ihm ein Gericht den Prozess gemacht und ihn verurteilt hat. Die Gesellschaft hat keine Straflosigkeit zugelassen." Der demokratischen Justiz musste sich der halsstarrige Diktator beugen. Das immerhin ist ein Trost für viele Argentinier.