Argentinien: Wintershalls zweite Chance
12. März 2023Lange Jahre galt Wintershall Dea als wichtigster Partner des russischen Energie-Konzerns Gazprom in Deutschland und damit auch der russischen Regierung unter Präsident Wladimir Putin. Die BASF-Tochter kaufte für die deutsche Industrie billiges Erdgas ein und warb im Gegenzug auch für gute russisch-deutsche Beziehungen.
Bis zuletzt hielt das Unternehmen an den Kontakten zum Putin-Regime fest, investierte über Jahre viel Geld in eine russlandfreundliche PR, die letztendlich zum Teil mitverantwortlich für Deutschlands naive Abhängigkeit von Gazprom war.
Doch mit dem russischen Überfall auf die Ukraine fiel auch das Urteil über diese Geschäftsbeziehung. Wintershall Dea muss sich neu aufstellen, das Russland-Geschäft ist Geschichte: "Eine Fortführung unseres Geschäftes in Russland ist nicht haltbar", erklärte Wintershall-Dea-Vorstandschef Mario Mehren im Januar.
Argentinien ein Schlüssel für die Neuaufstellung
Eine der Kernregionen, in denen Wintershall nun versucht wieder Boden gut zu machen, ist Argentinien. "Wintershall Dea ist einer der wichtigsten Gasproduzenten des Landes", bestätigt Unternehmenssprecher Frank Meyer auf Anfrage der DW. Primäres Ziel Argentiniens sei es, in einem ersten Schritt unabhängig von Energieimporten zu werden, um dann in der Folge über bereits existierende regionale Exporte hinaus Argentinien als Energielieferant am Weltmarkt zu etablieren.
"In den kommenden vier Jahren planen wir bis zu 450 Millionen Euro in unsere Projekte in Feuerland und Neuquén zu investieren", so Meyer. Das Fördergebiet rund um Neuquén trägt den Namen Vaca Muerte (Tote Kuh). Anders ausgedrückt: Erst soll dem Land dabei geholfen werden, zum Selbstversorger zu werden, dann könne auch Gas weltweit exportiert werden. Vielleicht auch nach Europa, wenn das nicht gelingt, kann aber das argentinische Angebot dabei helfen, die Situation auf dem Weltmarkt mittelfristig zu entspannen.
Mit "Fénix" aus der Asche
Eines der aktuell wichtigsten Zukunftsprojekte ist nach Unternehmensangaben die Entwicklung des Offshore-Gasfeldes Fénix vor der Küste Feuerlands. Fénix ist Teil der weltweit am südlichsten gelegenen Gasförderkonzession CMA-1 (Cuenca Marina Austral 1), deren Produktion aktuell rund 15 Prozent des Argentinischen Erdgasbedarfs deckt und an der Wintershall Dea einen Anteil von 37,5 Prozent hält. Mit einer geplanten Spitzenproduktion von 10 Millionen Kubikmetern Gas pro Tag soll Fénix ab Anfang 2025 mehr als 15 Jahre lang bedeutende Erdgasmengen liefern.
Zugute kommt dabei dem Unternehmen die jahrelange Erfahrung im Land. "Argentinien ist eines unserer Kernländer", sagt Meyer. Argentinien solle mittelfristiges zu einem moderaten Wachstum beitragen, schon jetzt wird geprüft, ob es zu den bereits angekündigten Projekten weitere Wachstumsmöglichkeiten gäbe.
Für beide Seiten eine Chance
Für beide Seiten wäre eine intensivere Zusammenarbeit eine echte Perspektive, glaubt der in Buenos Aires ansässige deutsche Wirtschaftsberater Carl Moses im Gespräch mit der DW: "Die schlechten wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen haben die Investitionen seit Jahren derart ausgebremst, dass sich das Land nicht einmal selbst versorgen kann, sondern stattdessen teures Flüssiggas (LNG) in großem Umfang importieren muss."
Der Energiemarkt sei stark von der Regierung reguliert, unter anderem durch die staatliche Festsetzung der Preise. Zuletzt sei die Regierung den Erzeugerunternehmen allerdings mit einigen Anpassungen bei den Preisen und teilweisen Lockerungen der Devisenbeschränkungen entgegengekommen.
"Was die Qualität und den Umfang der Schiefergasvorkommen angeht, hätte Argentinien zweifelsohne das technische Potenzial, ein ähnlich bedeutender Player auf dem LNG-Weltmarkt zu werden wie etwa die USA", ist Moses überzeugt.
Tiefgreifende Strukturreformen nötig
Emilio Apud von der Stiftung Libertad y Progesso in Buenos Aires mit Erfahrung in Politik und Unternehmen fordert nach den Wahlen in diesem Jahr deshalb eine neue Initiative: "Die nächste Regierung wird die Gelegenheit haben, tiefgreifende Strukturreformen durchzuführen, einschließlich einer Währungsreform, um den Wechselkurs und den Kapitalfluss dauerhaft und glaubwürdig freizugeben, um das Vertrauen in die Rechtssicherheit wiederherzustellen, die es ermöglichen wird, Investitionen in diesem Umfang anzuziehen."