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AOC: Ein Land in Hassliebe

Sophie Schimansky New York
25. Februar 2019

Alexandria Ocasio Cortez ist die jüngste Kongressabgeordnete der US-Geschichte und sehr schnell zum Feindbild der Lobbyisten geworden. Jetzt hat sie ihre eigene Hass-Leuchtreklame am Times Square.

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USA Alexandria Ocasio-Cortez PK im Capitol
Bild: Getty Images/A. Wong

Seit vergangenen Mittwoch hat die demokratische Abgeordnete Alexandria Ocasio Cortez, kurz AOC, ihre eigene Leucht-Reklame am Times Square in New York. "Danke für nichts, AOC!”, schimpft die Lobbygruppe Job Creators Network (JCN) darauf. Sie hat viel Geld gezahlt, um es dem Shootingstar der US-Politik heimzuzahlen, dass sie Amazon vergrault hat. Der Onlinehändler hatte vor wenigen Tagen seinen Plan zurückgezogen, sein neues Hauptquartier in New York City aufzubauen.

Den Rückzug hatten sie mit dem starken Widerstand von unter anderem lokalen Politikern begründet. Alexandria Ocasio Cortez hatte sich deutlich gegen Amazon ausgesprochen, das neue Hauptquartier und seine 25.000 Angestellten würden Mieten und Preise steigen lassen und die Infrastruktur wie die Subway überfordern. Gegner wie das JCN kritisieren, Amazon hätte neue Jobs geschaffen. JCN wird unter anderem finanziert von der Mercer-Familie (die Gruppe um den Milliardär Robert Mercer gehörte zu wichtigsten Unterstützern von Donald Trumps Kampagne) und konservativen Interessensgruppen, die wiederum vom rechten Medium Breitbart News unterstützt werden.

USA Times Square Billboard gegen Ocasio-Cortez in New York City
Für die einen ein Hassobjekt: Plakataktion am Times Square in New YorkBild: Reuters/B. McDermid

Corporate America zittert

Alle haben Angst. Die Wall Street, Unternehmen, Lobbyisten, reiche Amerikaner. Nachdem Donald Trump die Regulierung der Finanzindustrie zurückgefahren und die Steuern gesenkt hat, will AOC ihnen allen nun an den Kragen. "Es ist furchteinflößend", sagte Scott Minerd von Guggenheim Partners über die Pläne in einem Interview beim Weltwirtschaftsforum in Davos dieses Jahr. Sie präge die "neue politische Ära" wie kaum jemand anderes, schreibt das 'Wall Street Journal'. Tanz-Videos, angebliche Nacktfotos, auch das Netz bekommt nicht genug. Googelt man ihren Namen, bekommt man 39 Millionen Ergebnisse, unter dem Kürzel AOC sogar 100 Millionen. Auf Twitter hat sie in rasendem Tempo mehr als drei Millionen Follower erreicht. Und die Amerikaner beginnen, sich für ihre Ideen zu erwärmen. 

Was will AOC?

Ocasio Cortez will den Spitzensteuersatz auf Vermögen von mehr als zehn Millionen Dollar auf 60 bis 70 Prozent anheben, von momentan etwa 37 Prozent. In 2016, dem letzten Jahr, für das Regierungsdaten verfügbar sind, verdienten ungefähr 16.000 Amerikaner jeweils mehr als zehn Millionen US-Dollar. Das Steuersystem in den USA besteuert allerdings Teile des jeweiligen Einkommen unterschiedlich. Die 70 Prozent würden nicht auf zehn Millionen Dollar anfallen, sondern auf jeden Dollar oberhalb der zehn Millionen. Die großen Banken will Ocasio Cortez aufspalten. Die Branche ist auch deswegen alarmiert, weil AOC in dem Ausschuss des Repräsentantenhauses sitzt, der die Finanzbranche beaufsichtigt und reguliert.

Was bedeutet ihr Plan?

Das kommt einer Kriegserklärung an den Kapitalismus und die Wall Street gleich. Zwei Systeme, die tief im Land verwurzelt sind. Seit der Steuerreform von Ronald Reagan haben sich sowohl Demokraten als auch Republikaner vor dem Thema Steuerreform gescheut. Selbst der demokratische Kandidat Bernie Sanders, der in 2020 wieder antreten wird, trat im Wahlkampf 2016 nur mit einem Spitzensteuersatz von 52 Prozent an. Doch Ocasio Cortez hat mit ihren Ideen großen Erfolg. Sie gewann so die Wahl in ihrem New Yorker Wahlbezirk haushoch gegen einen etablierten Kandidaten.

USA Alexandria Ocasio-Cortez Wandmalerei in New York City
Für andere beinahe eine Heilige: Graffity einer Wand in New York Bild: Getty Images/AFP/A. Weiss

Gar nicht so radikal

Doch so radikal, wie sie selbst und andere es glauben, sind ihre Ideen nicht. AOC bezeichnet sich selbst als sozialistisch und gibt den Republikanern damit einen Kampfbegriff an die Hand. Tatsächlich sind ihre Ideen nach deutschem Maßstab viel mehr sozialdemokratischer Natur. Sie will die Reichen besteuern und so zum Beispiel Medicare und Medicaid finanzieren, die staatlichen Krankenversicherungen für Geringverdiener und ältere Amerikaner.

"Sozialismus” und "Lippenstift”

Die Definition von dem, was AOC will und ist, scheint zu verschwimmen. Vielleicht deshalb, weil die Welt so krampfhaft nach Worten sucht, um die New Yorkerin zu beschreiben. Die Medien wählen gerne Anspielungen auf Äußeres und Alter, wie jung oder attraktiv und schreiben über roten Lippenstift und große Ohrringe. Das 'Wall Street Journal' schreibt, sie sei direkt, enthusiastisch. 'Bloomberg Business Week' nennt sie ein Medien-Genie. Aus der Wirtschaft kommen die Worte sozialistisch, radikal, unamerikanisch. Von der rechten Seite des politischen Spektrums kommt Kritik daran, dass sie vor wenigen Monaten noch hinter einer Bar gearbeitet hat und nicht kompetent sei. All das mündet in: Diese Frau ist relevant.

Gegner in Politik und Wirtschaft

Der Vorstandschef der Investmentbank Goldman Sachs, Gary Cohn, und Ex-Starbucks-Chef Howard Schultz machen keinen Hehl daraus, was sie von AOC halten. Ihre Art zu denken sei unamerikanisch, sagt Howard Schultz. Cohn glaubt, ihre Pläne würden der gesamten Wirtschaft schaden. Auch Donald Trump wetterte in seiner Rede zur Lage der Union, die USA würden niemals ein sozialistisches Land werden.

Die Panik hat längst eingesetzt

AOC würde so den amerikanischen Traum untergraben, es vom Tellerwäscher zum Millionär zu schaffen, sagt Schultz. "Ich bin der lebende Beweis für den amerikanischen Traum." Er ist in einem Sozialbau in Brooklyn aufgewachsen. Sein Vermögen beläuft sich inzwischen auf geschätzt 3,5 Milliarden Dollar. Selbst Philanthrop, Multi-Milliardär und Microsoft-Gründer Bill Gates sagte in einem Interview, zu hohe Steuern würden nur dazu führen, dass Reiche ihr Geld auf ausländische Konten schieben und Steuern hinterziehen. Investmentbanker Ken Moelis sagte laut 'Business Insider' beim Weltwirtschaftsforum in Davos, Einkommen ab zehn Millionen zu besteuern, würde nicht genug Steuereinnahmen generieren und prophezeite, am Ende würden Einkommen von 200.000 bis 300.000 Dollar mit 70 Prozent versteuert werden. 

Hohe Steuern nichts Neues für die USA

Vergessen scheinen Jahrzehnte der Geschichte des US-Steuersystems. Tatsächlich sind Spitzensteuersätze von weniger als 50 Prozent in den USA eine eher junge Erscheinung. Ende der 1950er Jahre lag der Spitzensteuersatz bei 90 Prozent. Ökonom Paul Krugman beschreibt in einem Gastartikel in der 'New York Times', dass hohe Steuern dem Wirtschaftswachstum in Vergangenheit  keinerlei Abbruch getan hätten. Die Daten des Tax Policy Centers unterstützen seine Aussage. "AOC steht voll und ganz im Einklang mit seriöser Wirtschaftsforschung”, schreibt Krugman. 

Und die hat herausgefunden, dass der optimale Spitzensteuersatz sogar noch höher liegt. Der optimale Steuersatz berücksichtigt, wie sich das Wirtschaftswachstum unter einem Steuersatz entwickelt. Und das wiederum hängt davon ab, wie die mit dem Spitzensteuersatz besteuerten Individuen reagieren würden. Würden sie absichtlich weniger arbeiten, einen niedrigeren Lohn verhandeln oder versuchen, mehr Einkommen aus Kapital zu generieren, würde das Wirtschaftswachstum gehemmt. Ökonomen nennen das Anpassen des Verhaltens "Elastizität". Das haben sich die Ökonomen Thomas Piketty von der Universität California-Berkeley und Stefanie Stantcheva von Harvard genauer angeschaut. Ihre Studie kommt zu einem optimalen Satz von 83 Prozent, ohne die Ausweichreaktionen der Besteuerten auszulösen. Da ist also noch Luft nach oben.