Interview mit Anne-Sophie Mutter
7. August 2011Ob Geigen-, Bratschen-, Cello- oder Kontrabassspieler: In Anne-Sophie Mutters Stiftung sind sie alle gut aufgehoben. Im Laufe ihrer 35-jährigen Karriere nutzte die Geigerin immer wieder ihre Popularität, um dem Nachwuchs eine Chance zu bieten. Gleichzeitig widmet sie sich ungewöhnlichen Musikprojekten. Jetzt sprach sie mit der Deutschen Welle über ihr Engagement in der zeitgenössischen Musik, die Freundeskreis-Stiftung und darüber, wie sie das alles unter einen Hut bringt.
Deutsche Welle: Seit 1997 fördert Ihre Stiftung jungen Streicher-Talente. Was hat Sie dazu motiviert, den Freundeskreis zu gründen?
Anne-Sophie Mutter: Die Anne-Sophie Mutter-Stiftung ist das zweite Projekt dieser Art, allerdings das erste, das weltweit aktiv ist. Meine erste Stiftung, die Rudolf-Eberle-Stiftung, wurde vor circa 25 Jahren in Baden-Württemberg gegründet, in dem Bundesland also, in dem ich aufgewachsen bin. Benannt ist sie nach dem ehemaligen Wirtschaftsminister, der ein großer Förderer der Künste war. Meine Motivation damals kam aus meiner eigenen Vergangenheit, weil es sich in meiner Teenagerzeit doch sehr schwierig gestaltete, ein Instrument zu finanzieren und weil ich sehr viele Stiftungen als zu bürokratisch und zu unflexibel empfand. Ich schwor, dass ich alles anders machen würde, wenn ich mal eine eigene Stiftung gründen würde.
Was genau macht die Stiftung?
Es gibt eigentlich nichts, worin wir die Stipendiaten nicht unterstützen, egal ob es um einen Sprachkurs, den Führerschein oder das Vorspiel beim Dirigenten geht. Wir produzieren auch CDs, damit sie Bewerbungsmaterial an große Agenturen schicken können. Wir kaufen Instrumente und Bögen und vergeben Kompositionsaufträge. Wir musizieren gemeinsam, und teilweise unterrichte ich auch. Ein ganz wichtiger Aspekt ist die Weiterentwicklung des Musikverständnisses der Stipendiaten.
Nehmen wir zum Beispiel ein Instrument wie den Kontrabass: In der Klassik-Tradition spielt er eine wichtige Rolle als harmonisches Fundament im Orchester, aber als Solo-Instrument kommt er nur selten zum Einsatz. Zurzeit haben wir einen hochbegabten Kontrabassisten bei uns, für den schon bedeutende Komponisten geschrieben haben.
Aber die Reaktion nach einem Vorspiel des Bassisten bei jedem großen Dirigenten ist immer die gleiche: "Wunderbar, aber was spielen wir zusammen?" Während meiner sechsmonatigen Zeit als Künstlerin in Residence bei den New Yorker Philharmonikern gab es vier Uraufführungen: zwei davon für mich mit dem Kontrabassist Roman Patkolo, die "Dyade", ein Zwiegespräch von Wolfgang Rihm und ein Doppelkonzert von Krzysztof Penderecki.
Sie haben im Laufe Ihrer Karriere 18 Werke uraufgeführt. Wann haben sie Ihre Leidenschaft für die zeitgenössische Musik entdeckt?
Mit zeitgenössischer Musik habe ich mich dank Paul Sacher in den achtziger Jahren beschäftigt. Wir spielten Witold Lutoslawkis "Chain Two". Als der Komponist mir die Partitur schickte, nahm ich sie sofort, weil ich mich spontan mit dieser poetischen, sehr differenzierten Klanglichkeit der Geige-gebundenen Sprache identifizieren konnte.
Lutoslawskis Musik gab mir einen Impuls: Das Werk zum allerersten Mal bei einer Probe zu hören, quasi Terra Nova zu betreten und sich nicht vom Schatten der Tradition blenden zu lassen: All das entfachte in mir eine große Leidenschaft für die Musik. Das sehr persönliche, unbefangene Gespräch mit dem Komponisten tat sein Übriges. Natürlich ist es ein Prozess, der sich entwickeln muss. Aber ich habe im Wechselspiel der Gefühle zwischen der Angst des Scheiterns und der Freude über eine gelungene, überlebte Uraufführung eine sehr gesunde Balance gefunden.
Ist die Beziehung zu lebenden Komponisten intensiver?
Es ist schon beruhigend zu wissen, dass man anrufen kann, wenn man eine Frage hat. Außerdem ist die Anwesenheit des Komponisten, der spätestens bei der ersten Probe regulierend eingreift, für einen Künstler wunderbar, der sich sonst nur mit einem enorm komplexen Repertoire beschäftigt.
Somit bleibt immer die demütige Frage offen: Bin ich auf dem richtigen Weg? Das gibt einem einerseits eine Möglichkeit, in der Interpretation immer noch einen Schritt weiter zu gehen und sich eine gewisse Freiheit zu suchen. Auf der anderen Seite wird man sich schmerzhaft bewusst, dass man eigentlich nie ankommt. Bei einer zeitgenössischen Komposition hingegen kann man durchaus ein Plateau erreichen, einfach durch das positive Feedback des Komponisten.
Was inspiriert Sie beim Erlernen neuer Stücke?
Die Neugier steigt und wächst natürlich bei jedem neuen Projekt. Man lernt fast permanent neue Sprachen. Und wenn man Glück hat, trifft man auf einen Inhalt, mit dem man sich auch emotional identifizieren kann. Das passiert bei Klangfarben; es kann aber auch die Schönheit eines musikalischen Gedankens sein, der in seiner Komplexität so packend ist, dass man seine Spuren unbedingt nachvollziehen will. Es ist ein bisschen wie in der Archäologie: Man fängt an zu graben, und wenn man die erste Scherbe oder einen Knochen findet, dann gibt es kein Halten mehr.
Haben Sie ein Lieblingsstück, das für Sie geschrieben wurde?
Interessanterweise ist es immer gerade das, was noch relativ feucht hinter den Ohren ist. Wobei ich sagen muss: Von den vier Werken, die ich kürzlich uraufgeführt habe, ist mir das Geigen-Solo das liebste, weil es dem Instrument kompromissloser huldigt als die Kammermusik. Rihms "Dyade" für Geige und Kontrabass ist ein wunderbares Werk, sein "Lichtes Spiel" ist auch besonders gelungen und poetisch, und Sebastian Curriers "Time Machines" ist ein Violinkonzert, wie man es sich farbiger, virtuoser und vielseitiger nicht vorstellen kann.
Aber mein absoluter Favorit ist Sofia Gubaidulinas "Im Tempus Praesens"; ein Stück, das niemanden unberührt lässt. Es mag sein, dass die Intensität dieser Musiksprache manche Zuhörer regelrecht verstört. Aber Kunst ist nicht dazu da, um uns Vergnügen zu bereiten, sondern sie soll uns immer wieder über unsere Grenzen hinausbringen und einen tiefen Eindruck hinterlassen.
Wie bringen Sie so viele Aktivitäten alle unter einen Hut?
Ich versuche, nur einige Male im Jahr für zwei Wochen auf Übersee-Tournee zu gehen. Dazwischen trete ich in Europa auf. Diese Auftritte beschränke ich dann möglichst auf enge Zeitintervalle, so dass ich längere Phasen zuhause bei meinen Kindern sein kann, mich von anderen Dingen inspirieren lasse und einfach mal durchatme. Ich lebe dann ohne den Druck eines übervollen Terminkalenders und kann in der Zeit auch neue Dinge einstudieren.
Was machen Sie gerne in Ihrer Freizeit?
Ich liebe bildende Kunst und die Natur: einen Spaziergang, einen Aufenthalt am See oder einen Besuch im Botanischen Garten. Aber das Allerwichtigste und das Schönste in meinem Leben ist es, Zeit mit meinen Kindern zu verbringen. Sie sind jetzt 17 und 19. Beide spielen Instrumente, werden aber nicht die Laufbahn eines Berufsmusikers einschlagen.
Hören Sie gern nicht-klassische Musik?
Das tue ich, allerdings weiß ich auch Stille sehr zu schätzen. Aber es gibt Phasen, in denen ich den Drang habe, sagen wir mal, Michael Jackson zu hören, und das geht dann wochenlang so. Mit Jazz passiert mir das auch. Klassische Musik spielt in meiner Freizeit eher eine untergeordnete Rolle, obwohl ich mit meinem Sohn Klavierkonzerte spiele. Er ist ganz verrückt nach diesem Repertoire.
Das Gespräch führte Rebecca Schmid
Redaktion/ Adaption: Suzanne Cords