Anklage will Höchststrafe für Halle-Attentäter
18. November 2020Die Bundesanwaltschaft forderte eine lebenslange Freiheitsstrafe für den Rechtsextremisten, die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und anschließende Sicherungsverwahrung für den geständigen Attentäter von Halle.
"Bemerkenswerte emotionale Kälte"
Das ist die schärfste Strafe, die ein deutsches Gericht verhängen kann. "Es ist selten, dass diese ganze Härte des Rechtsstaats notwendig wird, wir meinen aber, dass dies ein Fall ist, in dem das angemessen ist", sagte Bundesanwalt Kai Lohse nach seinem Schlussplädoyer. "Es handelt sich um eine grauenhafte Tat." Der Angeklagte habe die Taten zwar im Wesentlichen gestanden, dabei aber eine "bemerkenswerte emotionale Kälte" und nicht "auch nur einen Anflug von Reue" gezeigt.
Der Anschlag sei ein "Alptraum" gewesen und eine der "widerwärtigsten antisemitischen Akte seit dem Zweiten Weltkrieg". In ihrem mehrstündigen Schlussvortrag gingen Lohse und zwei seiner Kollegen den Anschlag, seine Vorbereitung und den Prozess noch einmal Punkt für Punkt durch. Sie beantragten, den Angeklagten wegen zweifachen Mordes, versuchten Mordes in 67 Fällen sowie versuchter räuberischer Erpressung, Volksverhetzung und friedensgefährdender Hetze schuldig zu sprechen. Der Angeklagte nahm die Forderung im Plädoyer weitestgehend ausdruckslos auf.
Täter versuchte 51 Menschen zu töten
Der 28-jährige Deutsche Stephan B. hatte in dem Prozess gestanden, dass er am 9. Oktober 2019 versucht hatte, die 51 Menschen zu töten, die in der Synagoge von Halle den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur feierten. Als er an der massiven Tür scheiterte, erschoss der Täter eine Passantin, später einen jungen Mann in einem Döner-Imbiss und verletzte weitere Menschen. B. begründete die Taten mit antisemitischen, rassistischen Verschwörungstheorien.
Seit Juli läuft der Prozess vor dem Oberlandesgericht Naumburg, die Verhandlung findet aus Platzgründen in Magdeburg statt. Die vorsitzende Richterin Ursula Mertens hat die Beweisaufnahme am 21. Prozesstag des Hauptverfahrens geschlossen.
"Der Täter zielte auf uns alle"
Bundesanwalt Lohse sagte in seinem Schlussvortrag, mit der Tat habe der Angeklagte nicht nur Gäste der Synagoge in Halle angegriffen, sondern das jüdische Leben in Deutschland insgesamt. "Damit zielte der Täter auf uns alle, denn das jüdische Leben ist ein unverzichtbarer Teil unseres Landes", so der Ankläger. Mit dem Anschlag habe der 28-Jährige "seine von Misserfolgen und Versagen geprägte Existenz" überhöhen und ihr eine besondere Bedeutung verleihen wollen.
Der Anklagevertreter äußerte zugleich großen Respekt für die Opfer des Anschlags. Viele von ihnen, darunter Überlebende aus der Synagoge und dem Döner-Imbiss sowie verletzte Polizisten und Passanten, hatten im Prozess ausgesagt. "Im Verlauf der Hauptverhandlung wurde immer wieder und in vielen berührenden Momenten offenbar, welches Leid der Täter seinen Opfern angefügt hat", sagt der Bundesanwalt über die Aussagen der Überlebenden und Hinterbliebenen. "Das Erlebte hat bleibende Spuren hinterlassen." Umso bemerkenswerter sei, wie couragiert die Überlebenden dem Angeklagten entgegengetreten seien.
Der Angeklagte bekam keine Bühne
In dem Prozess sei es dem Gericht gelungen, den Opfern genug Raum zu geben, ohne die Rechte des Angeklagten zu beschneiden oder das juristische Ziel des Verfahrens, die Feststellung der Schuld, aus den Augen zu verlieren. "Der Angeklagte hat hier keine Bühne erhalten, seine menschenverachtenden Ideologien zu verbreiten", sagte Lohse. "Gleichwohl wurden seine Rechte gewahrt und niemand wird behaupten können, dass dies kein fairer Prozess war."
nob/qu (dpa/afp)