Angriff der Salafisten
25. Mai 2012"Mutter bleibe standhaft, ich bin im Dschihad", singt eine junge Männerstimme auf Deutsch, während Fotos getöteter Kinder mit deutlich erkennbaren Schusswunden in Nahaufnahme vorbeiflimmern. Das Video hat ein aus Bonn stammender Salafist ins Internet gestellt, der nach Afghanistan gegangen ist. Ein Propagandavideo, das neue Freiwillige für den Heiligen Krieg an den Hindukusch locken soll.
Aufrufe zum Dschihad
Der deutsche Verfassungsschutz hat seit zwei Jahren "vermehrt Reisebewegungen in Richtung Afghanistan und Pakistan" von Menschen festgestellt, die "von der salafistischen Ideologie geprägten Milieus" entstammen. Und weiter: "Fast ausnahmslos alle Personen mit Deutschlandbezug, die den gewaltsamen Dschihad befürworten oder sich ihm angeschlossen haben, standen zuvor mit Trägern salafistischer Bestrebungen in Kontakt."
Der Salafismus ist keine einheitliche Bewegung, unter ihm fasst man mehrere Strömungen des sunnitischen Islam zusammen. "Sie propagieren einen Ur-Islam, ein 'Goldenes Zeitalter', das einmal vor 1400 Jahren existierte und von dem sich die Muslime im Laufe der Jahrhunderte entfernt haben", erklärt Rauf Ceylan, der in Osnabrück Islamische Religionspädagogik lehrt. Ihr Ziel sei, diesen Ur-Islam wieder herzustellen, wobei sie alle späteren religiösen und zivilisatorischen "Neuerungen" strikt ablehnen. Aber nur einige radikale Gruppierungen predigen den bewaffneten Kampf.
Sektenähnliche Struktur
Was macht diese extremistische Strömung so attraktiv? "Zum einen ein sehr enges, wirklich sektenartiges Gemeinschaftsleben", sagt Ceylan. "Je mehr man in diese Kreise hineinkommt und sich in diese Strukturen integriert, desto mehr nehmen die Außenkontakte ab." Zweitens verlockt, wie Ceylan es ausdrückt, "die Attraktivität der Vereinfachung". Also beispielsweise das Schwarz-Weiß-Muster, das alle Nichtmuslime in der Hölle verortet, während alle Rechtgläubigen sich bei Allah wähnen können. Und drittens, so Ceylan, vermittelten einem die salafistischen Prediger das Gefühl, "dass man jemand ist, dass man auserwählt ist".
Seit einigen Monaten belassen es die Salafisten nicht mehr bei stiller Propaganda. Im vergangenen Jahr versuchte der Verein "Einladung zum Paradies", sich in Mönchengladbach anzusiedeln. Monatelange Bürgerproteste konnten das schließlich verhindern, der Verein löste sich daraufhin auf.
Vernetzte Gemeinden
Dafür hat die 2005 ins Leben gerufene Internetplattform "Die Wahre Religion" ihre Aktivitäten ausgeweitet. Sie wirbt neue Anhänger nicht mehr nur online, sondern organisiert Straßenaktionen. In den vergangenen Wochen sorgten Mitglieder mit der kostenlosen Verteilung deutscher Koran-Übersetzungen in mehreren Innenstädten für Schlagzeilen. Hinter derartigen Aktionen stehen meist einzelne charismatische Prediger. "Es gibt da keine Dachorganisation", sagt Rauf Ceylan. "Es sind lokale Gemeinden, die untereinander vernetzt sind." Und diese Gemeinden umfassen laut Verfassungsschutz bundesweit rund 3800 Mitglieder.
Seit einigen Tagen organisieren sich aber gewaltbereite Salafisten im Internet, um gegen Wahlkundgebungen der rechtsextremen Partei Pro NRW mobil zu machen. Am 1. Mai eskalierte eine Gegendemonstration in Solingen, als die Rechtsextremen Mohammed-Karikaturen in die Höhe reckten. Radikale Islamisten verletzten daraufhin drei Polizisten.
Eskalation der Gewalt
In den folgenden Tagen registrierten die Behörden, dass sich mehr und mehr Gewaltbereite in Internetforen zur Pro-NRW-Kundgebung am 5. Mai in Bonn verabredeten. Polizei-Sprecher Harry Kolbe sagt, man habe "ein umfassendes Sperrkonzept aufgebaut" und "im Vorfeld schon erste Festnahmen durchgeführt". Auch der gemäßigte Rat der Muslime, der die Gegendemonstration angemeldet hatte, war gewarnt. "Es gab deshalb einen Appell der Moscheen und Vereine," berichtet Mussa Acharki vom Rat der Muslime, "friedlich zu demonstrieren."
Und dann geriet die Lage doch außer Kontrolle, als Pro-NRW-Anhänger wieder mit Mohammed-Bildern provozierten. "Dann explodierte praktisch die Gewalt", erzählt Polizei-Sprecher Kolbe. "Die friedfertigen Muslime waren nicht mehr in der Lage, das zu stoppen." Die Polizisten, die die beiden Seiten auseinander halten sollten, wurden angegriffen, mit Steinen beworfen, zwei Beamte sogar durch Messerstiche schwer verletzt. Es war, sagt Kolbe, "eine Gewalt, wie ich sie in den zurückliegenden 20 Jahren in Bonn noch nicht erlebt habe."
Die traurige Bilanz: Insgesamt 29 Polizisten erlitten Verletzungen, mehr als 100 Personen wurden festgenommen. Am Montag erließt ein Richter Haftbefehl gegen einen 25-Jährigen wegen dreifachen versuchten Mordes.
Ausschreitungen verhindern – aber wie?
Noch immer herrscht Entsetzen über die Gewaltbereitschaft der Salafisten, beim Koordinierungsrat der Muslime, der Dachorganisation der vier größten Muslimverbände in Deutschland ebenso wie bei Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger. Der hat für die noch ausstehenden Wahlveranstaltungen der rechtsextremen Pro NRW das Zeigen der Mohammed-Karikaturen untersagt – um neue Ausschreitungen zu verhindern. Doch zwei Gerichte haben ein solches Verbot bereits wieder kassiert.
Ob Verbote wirklich helfen, ist ohnehin fraglich. Denn gerade von gewalttätigen Aktionen könnten sich radikale Salafisten einen Propaganda-Erfolg erhoffen. Denn sie nutzen gerne Vorurteile gegen Muslime zu ihren Gunsten, meint Rauf Ceylan: "Der Islam wird assoziiert mit Gewalt, Rückständigkeit und Frauenfeindlichkeit, und genau diesem Bild entsprechen auch die Salafisten – und möchten diesem Bild entsprechen."