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Literatur

"Humboldt bringt Kunst und Wissenschaft zusammen"

Sabine Peschel
8. April 2019

Ihre Humboldt-Biografie wurde 2015 ein Weltbestseller. Zum Humboldt-Jahr veröffentlicht Andrea Wulf nun ein weiteres Werk über den berühmten Forscher. Mit der DW sprach sie über ihre "illustrierte Entdeckungsreise".

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BG "Die Abenteuer des Alexander von Humboldt" (Deutsch)
Bild: Andrea Wulf & Lillian Welcher

Deutsche Welle: Frau Wulf, Sie haben 2015 mit der Monumentalbiografie "Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur " einen preisgekrönten Weltbestseller vorgelegt. Was hat Sie veranlasst, sich Humboldt jetzt noch einmal auf ganz andere Weise zu nähern: mit einem farbenprächtigen, opulent illustrierten Buch über seine berühmte Südamerika-Expedition?

Andrea Wulf: Humboldt wird immer gern als Wissenschaftler dargestellt, dabei wird aber vergessen, dass er auch ein Künstler war. Humboldt bringt die Kunst und die Wissenschaft zusammen, und ich wollte ein Buch machen, das das auch wirklich zeigt. Der eigentliche Anlass dafür war, dass Ende 2013 die legendären Südamerika-Tagebücher von Humboldt, die bis dahin in Privatbesitz waren, erstmals der Öffentlichkeit verfügbar gemacht wurden, weil die Stiftung Preußischer Kulturbesitz sie gekauft hat. Sie wurden digitalisiert und waren ab Ende 2014 online verfügbar. Als ich diese Dokumente gesehen habe, hat es mich einfach umgehauen.

Es war mir klar, dass ich noch etwas anderes über Humboldt machen wollte, das zeigt, dass Humboldt die Natur nicht nur intellektuell als rationaler Wissenschaftler verstanden hat, sondern auch sehr visuell und emotional. "Die Abenteuer des Alexander von Humboldt" sind das Ergebnis - ein Buch, das keinem richtigen Genre zuzuordnen ist.

Alexander von Humboldt, Auguste Desnoyers (Künstler) nach Francois Gerard, Kupferstich, 1805
Alexander von Humboldt, Kupferstich von 1805Bild: Alexander von Humboldt von Auguste Desnoyers/Foto: T. Rooks

Die Amerikaner sagen Graphic Novel dazu, aber damit habe ich ein Problem, denn das beinhaltet immer etwas Fiktives, während dieses Buch komplett auf Fakten beruht. Ich möchte es eine illustrierte Entdeckungsreise nennen: ein Buch, das von Humboldts eigenen Tagebuchaufzeichnungen, seinen Zeichnungen und Pflanzenproben inspiriert ist.

Wann haben Sie zum ersten Mal gemerkt, dass Sie sich intensiv mit dem Forscher und Entdecker befassen wollen?

2002 hat mein Agent in England, der in Venezuela geboren ist, das erste Mal zu mir gesagt: Du müsstest eigentlich ein Buch über Alexander von Humboldt schreiben - weil er in Venezuela mit den Abenteuergeschichten von Alexander von Humboldt aufgewachsen war und Humboldt in Lateinamerika so  überaus berühmt ist. Ich habe das damals nicht so richtig ernst genommen.

Vor zwölf Jahren habe ich für ein Buch über die amerikanischen Gründungsväter ein Kapitel über Humboldt geschrieben, das letztlich doch nicht veröffentlicht wurde. Damals hat mich  dann die Humboldt-Leidenschaft gepackt.

Das Buch erscheint  anlässlich des 250. Geburtstags des größten deutschen Naturforschers am 14. September 2019. Was bedeutet Alexander von Humboldt heute noch für die Naturwissenschaften?

Humboldts Ideen sind immer noch sehr relevant. Da ist zunächst Humboldts Verständnis der Natur. Das ist ja auch der Grund, warum meine Biografie "Die Erfindung der Natur" heißt. Er hat das Konzept der Natur erfunden, wie wir es heute verstehen. Er hat die Natur als einen lebendigen Organismus beschrieben, als ein zusammenhängendes Ganzes. Das ist im Grunde unsere Idee des Ökosystems. Er hat schon im Jahre 1800 vor dem vom Menschen verursachten Klimawandel gewarnt. Das ist für mich eine der ganz wichtigen Ideen Humboldts, die auch heute noch relevant sind.

Aber ganz wichtig ist auch, dass Humboldt insistiert, dass wir die Natur auch durch unsere Gefühle und unsere Fantasie verstehen sollen, dass wir die Kunst und die Wissenschaft zusammenbringen.Diese Dinge sind heute, glaube ich, wenn wir über den Klimawandel nachdenken, ganz enorm wichtig. Wir können dieses Problem nicht nur den Ingenieuren und den Wissenschaftlern überlassen, sondern das ist etwas, was auch für Künstler und für Dichter bedeutend ist: dass wir wieder über den Zauber der Natur reden; dass wir darüber reden, dass wir das beschützen, was wir lieben.

Sie haben im Februar Bundespräsident Steinmeier in Südamerika begleitet, als er dort das Humboldt-Jahr eröffnete. Hat das für Sie persönlich nochmal eine Veränderung Ihrer Wahrnehmung bewirkt?

Für mich war das ein ganz großer Moment, als ich im Februar mit Präsident Steinmeier in Südamerika war: zu sehen, wie Politiker heute Humboldts Ideen immer noch als etwas Relevantes sehen. Angela Merkel hat zum Beispiel im Februar bei der Münchner Sicherheitskonferenz Humboldt damit zitiert, dass alles in Wechselwirkung steht. Humboldts Idee, dass alles miteinander zusammenhängt, ist heute genauso wichtig, wie sie es damals war.

Alexander von Humboldt (1769-1859) in seiner Bibliothek, Chromolithographie von Eduard Hildebrant
Alexander von Humboldt (1769-1859) reiste fünf Jahre lang durch Südamerika (1799 - 1804). Seine Entdeckungen beschrieb er in tausenden von Zeichnungen, Briefen und Tagebucheinträgen. Später versuchte er in seinem fünfbändigen Werk "Kosmos", die verschiedenen Wissenschaften zu vereinen.Bild: picture-alliance/CPA Media

Wenn mir jemand vor acht Jahren, als ich alleine im Archiv saß, gesagt hätte, dass ich im Jahre 2019 mit dem deutschen Bundespräsidenten nach Südamerika fahren würde, um einer Rede in Quito zuzuhören, wo der Bundespräsident über Humboldts Wichtigkeit im heutigen Klimawandel redet, dann hätte ich das nie im Leben geglaubt. Das war für mich ein richtiger Gänsehautmoment. Der hat nicht meine Vorstellung von Humboldt geändert, sondern mir wurde auf einmal stark bewusst: Humboldt gehört in den internationalen Tempel der Natur und der Wissenschaften, genau wie Charles Darwin oder Albert Einstein. Ich habe das Gefühl, er zieht da langsam wieder ein.

Wie kam es für die "Abenteuer des Alexander von Humboldt" zu der Zusammenarbeit mit der jungen Illustratorin Lillian Melcher?

Als ich mich entschieden habe, dass ich ein Buch machen wollte, das die künstlerische Seite von Humboldt würdigt, war mir natürlich klar, dass ich das nicht alleine machen kann, weil ich keine Künstlerin bin. Ich habe dann an eine Illustratorin geschrieben, die ich sehr bewundere, und sie gefragt, ob sie Lust hätte, mit mir an diesem Projekt zusammenzuarbeiten. Sie hatte keine Zeit, aber sie hat mir die Studentin Lillian Melcher empfohlen als die beste Studentin, die sie seit zehn Jahren hatte. Danach haben wir uns in New York kennengelernt. Sie hat ein Probekapitel gemacht, und es hat mir wahnsinnig gut gefallen. So hat die Zusammenarbeit angefangen. Wir haben wirklich ein Gemeinschaftswerk geschaffen, wir haben nebeneinander gesessen und Szene für Szene besprochen, wie das auszusehen hätte, welche Dokumente, welche Pflanzen dort rein sollten. Was für mich ganz toll war, ist, dass Lillian Melcher auch total besessen von historischen Details ist: dass Humboldt die Instrumente richtig hält, dass er die richtige Kleidung trägt, etc.

Wie haben Sie das recherchiert?

Das war relativ schwierig, weil wenig Leute wissen, wie genau die Instrumente zum Beispiel benutzt wurden. Aber es gibt natürlich Spezialisten für alles, auch einen Professor in Kalifornien, der sich auf historische wissenschaftliche Instrumente spezialisiert hat und der auch ein totaler Humboldtianer ist. Er hat uns Fotos geschickt, wo er Schritt für Schritt fotografiert hatte, wie Humboldt die Instrumente benutzt hat. So konnte Lillian das in ihren Zeichnungen umsetzen.

Sie haben Humboldt selber den dritten Mitarbeiter an diesem Werk genannt. Was hat er denn dazu beigetragen?

Humboldts Zeichnungen, Humboldts Pflanzenproben, Humboldts Karten, Humboldts Kupferstiche sind auf jeder Seite in diesem Buch zu sehen. Aber auch die Art und Weise, wie er seine Manuskripte angelegt hat, waren eine Inspiration für Lillian Melchers Bildsprache. Humboldts Manuskripte sind mehrschichtige Collagen: Er schrieb auf Zetteln, die er aufeinander klebte. Diese Collagen inspirierten Lillian, genau solche Seiten anzulegen, indem sie Seiten aus Humboldts Tagebuch als Hintergrund nahm, darauf kleine Zettel klebte und dann die Figuren darauf zeichnete.

Humboldt ist der dritte Mitarbeiter, weil seine Zeichnungen mit im Buch sind, aber auch, weil die Art und Weise, wie er seine Wissenschaft visuell ausgedruckt hat, Teil unserer Bildsprache geworden ist.

Sie selbst haben die Texte geschrieben, das Storyboard. Das ist etwas vollkommen anderes, als eine extensive Biografie zu schreiben. Ist es Ihnen leichtgefallen zu verkürzen?

Andrea Wulf im Edinburgh International Book Festival 2016
Erfolsautorin Andrea Wulf ist eine echte"Humboldtianerin"Bild: picture-alliance/Photoshot

Das ist ein bisschen, als wenn man auf der linken oder auf der rechten Seite Auto fährt. Sobald man auf der anderen Seite des Lenkrad sitzt, kapiert man ganz schnell, was anders ist. Ich bin immer schon ein sehr visueller Mensch, ich habe über lange Jahre überlegt, ob ich Künstlerin oder Schriftstellerin werden sollte. (Zum Glück bin ich Schriftstellerin geworden.) Für mich war das eine unglaubliche Freude, Humboldt anders als in einer klassischen Biografie zu behandeln. Ich konnte ein bisschen frecher sein, konnte ihm ein bisschen mehr die Stimme geben, die ich die ganze Zeit in meinem Kopf gehört habe, wenn ich seine Briefe und seine Tagebücher las. Und ich konnte das umsetzen, was ich in der "Erfindung der Natur" nicht machen konnte: nämlich die ganzen Zeichnungen mit einbringen und sie seiner Persönlichkeit hinzufügen. Nein, das ist mir nicht schwergefallen. Jetzt habe ich das Gefühl, der Kreis hat sich geschlossen, und jetzt ist es auch genug. 

Ich habe gehört, dass Sie noch an einem Film über Humboldt mitarbeiten.

Das war eine Humboldt-Doku fürs Zweite Deutsche Fernsehen. Dafür bin ich noch einmal Humboldts Fußstapfen durch Südamerika gefolgt, und die Kamera begleitete mich. Das war ein ganz tolles Erlebnis, weil wir an ein paar Orten waren, wo ich vorher noch nicht war, zum Beispiel an den ganz entlegenen Stromschnellen des Orinoco in Kolumbien. Das kommt jetzt im Mai im Fernsehen und ins Internet.

Sie haben sich selbst in das Buch zeichnen lassen, obwohl ja sonst alles nicht fiktiv ist, sondern der Wirklichkeit nachempfunden. 

Das ist so ein bisschen wie mit Alfred Hitchcock in seinen Filmen. Lillian und ich haben beide einen Auftritt. Humboldt hat einen Pinguin gezeichnet, den er in Lima am Hafen gesehen hat. Diese Zeichnung des Humboldt-Pinguins sieht ganz ähnlich aus, wie Lillian ihre Tiere zeichnet, weshalb ich zu ihr sagte, eigentlich müssten wir das kommentieren. Das haben wir bildlich gemacht.

Buchcover von "Die Abenteuer des Alexander von Humboldt"
Buchcover "Die Abenteuer des Alexander von Humboldt"Bild: C. Bertelmann

Dazu muss man sagen, dass wir einen jungen und einen alten Humboldt in diesem Buch haben, der alte Humboldt guckt sozusagen auf sein Leben zurück. Jetzt steht Humboldt in meinem Arbeitszimmer in London, guckt ein bisschen eingeschnappt und beschwert sich darüber, dass ich in der Biografie "Die Erfindung der Natur" seinerzeit Mexiko viel zu wenig Platz eingeräumt hätte -  ich habe das in dem Buch nur mit ein paar Sätzen erwähnt. Darüber haben sich einige Leser beschwert. Diesen Kommentar haben wir sozusagen Humboldt in den Mund gelegt. Das ist eine der ganz wenigen künstlerischen Freiheiten, die wir uns genommen haben. Für mich war es wichtig, historisch korrekt zu bleiben, aber ebenso auch die Persönlichkeit Humboldts zu erfassen. Er hatte den Ruf, dass er sehr gerne auch mal gelästert hat. Das haben wir ein bisschen in dieses Buch eingebracht.

Das Gespräch führte Sabine Peschel.

Andrea Wulf: Die Abenteuer des Alexander von Humboldt: Eine Entdeckungsreise, durchgängig farbig illustriert von Lillian Melcher, Übersetzt von Gabriele Werbeck, C. Bertelmann 2019, 272 Seiten, ISBN: 978-3-570-10350-0