"Am Rande der völligen Destabilisierung"
11. Mai 2015DW: 22 Tote, zahlreiche Verletzte - das ist die blutige Bilanz der Kämpfe in Mazedonien am Wochenende. Droht durch den Konflikt eine weitere Destabilisierung des Landes?
Franz-Lothar Altmann: Es sieht im Moment so aus, dass das Land dreigeteilt ist: In Regierung, Opposition und jetzt zusätzlich in die Albaner. Die Albaner hatten sich in letzter Zeit zunehmend aus der Politik zurückgezogen. Aber durch die jüngsten Ereignisse sind sie wieder mit beteiligt und das Land ist eigentlich am Rande einer völligen Destabilisierung.
Was weiß man über die Hintergründe es Gewaltausbruchs?
Es hat im April eine kurzzeitige Besetzung einer Polizeistation im Norden von Mazedonien gegeben. Das hatte man nicht erwartet. Es hatte zwar immer wieder Gerüchte gegeben, dass es eine kleine albanische Gruppe gäbe, die mit Gewalt eine Loslösung des albanischen Teils - die Albaner wohnen ja meist im Nordwesten von Mazedonien - aus diesem Staat forcieren möchte. Als dann plötzlich diese Polizeistation besetzt wurde, wurde man hellhörig. Was jetzt am Wochenende passiert ist, ist natürlich schwerwiegender, denn es hat 22 Tote gegeben. Man weiß nicht genau, welche Gruppierung dahinter steckt. Die Regierungsseite hatte behauptet, es seien Albaner gewesen, die aus dem Kosovo und Albanien kamen. Andere Quellen sagen, es waren vorwiegend mazedonische Albaner, also Staatsbürger Mazedoniens. Das ist noch nicht endgültig geklärt.
Die Opposition beschuldigt die Regierung, den Konflikt gezielt angeheizt zu haben. Welches Interesse hätte die Regierung daran?
Es gibt zurzeit einen heftigen Streit zwischen Opposition und Regierung als Ergebnis eines Abhörskandals, den die Opposition jetzt schrittweise an die Öffentlichkeit bringt.
Die Opposition hat Tonmitschnitte veröffentlicht, die unter anderem belegen sollen, dass die Regierung rund 20.000 Menschen illegal abhören ließ.
Jetzt argumentiert die Opposition, die Regierung wolle davon ablenken und möchte über diesen Konflikt mit den Albanern eine Gefährdung des Staates an die Wand malen. Damit will die Regierung sagen: Ihr (die Opposition) mit euren Aktionen habt es ermöglicht, dass sich jetzt auch die Albaner gegen die Regierung stellen. Ihr seid mitschuldig, weil ihr die Regierung beschuldigt, undemokratisch zu sein, die Medien zu beschränken und kreuz und quer abzuhören. Hinzu kommt, dass der Oppositionsführer in nächster Zeit Aufnahmen veröffentlichen will, die zeigen sollen, dass die Regierung die Albaner unterdrückt. Für den 17. Mai ist eine Großdemonstration der Opposition gegen die Regierung angekündigt. Das heißt, am Sonntag kann es sehr kritisch werden, wenn die Albaner mitdemonstrieren. Vor allem, wenn die Polizei so brutal eingreift, wie in den letzten Tagen.
Befürchten sie, dass der Konflikt auf andere Länder des Balkans überschwappen könnte?
In erster Linie ist hier die Gefahr, dass Albaner aus dem Kosovo und vielleicht auch aus Albanien selbst mit einbezogen werden. Besonders, wenn die Bestrebungen der Albaner sich aus dem Verbund mit Mazedonien zu lösen, heftiger werden. Es ist durchaus möglich, dass der Konflikt über die Grenzen hinweg schwappt. Es gibt vor allem im Kosovo frühere UCK-Kämpfer (Anmerkung der Redaktion: "Befreiungarmee des Kosovo" eine paramilitärische Organisation), die bereit sind, in Mazedonien in diesen Konflikt einzugreifen. Das ist ja auch einer der Vorwürfe, die die Regierung in Skopje erhoben hat, dass die Gewalt aus dem Ausland mit geschürt wird. Inwieweit das stimmt, können wir nicht sagen. Aber die Gefahr besteht natürlich, dass diese Kräfte, die ein größeres Albanien wünschen, hier mitspielen wollen.
Was kann Deutschland, was kann die EU tun, um den Konflikt zu deeskalieren?
Es hat bisher von allen Seiten Ermahnungen gegeben. Die verschiedenen Botschafter der EU-Länder haben an Skopje appelliert, man solle doch mit der Opposition sprechen. Man solle sich doch, was den Abhörskandal angeht, nicht darauf berufen, das wäre alles nur vom Ausland gesteuert. Diese Appelle kommen auch von der NATO. Aber mehr als Appelle kann man offensichtlich nicht nach Mazedonien schicken. Dazu kommt eine zunehmend autokratische Richtung, die die Regierung eingeschlagen hat. Die Regierung handelt nach dem Motto: Wir kümmern uns nicht um die EU, denn die EU kümmert sich ja auch nicht um uns. Die EU kümmert sich nicht darum, dass wir endlich den Namensstreit mit Griechenland beenden. Warum sollen wir auf die EU hören. Es gab sogar erste vorsichtige Annäherungen in Richtung Moskau. Man hat sich beispielsweise gegen die Sanktionen ausgesprochen, die die EU und die USA gegen Russland verhängt haben.
Franz-Lothar Altmann ist Professor an der Abteilung für Internationale und Interkulturelle Beziehungen der Universität Bukarest und gehört dem Präsidium der Südosteuropa-Gesellschaft aus München an. Er ist auch Mitglied des BTI-Boards (Bertelsmann Transformation Index).
Das Interview führte Christoph Ricking