Libyen Rebellen
11. Juli 2011"Wenn wir Tripolis erreichen, werden wir alle, die Kriegsverbrechen begangen haben, gefangen nehmen und unerbittlich sein." Dies sind die warnenden Worte des Rebellenoffiziers Abdulla al-Mehdi "an all jene libyschen Soldaten, die bisher noch nicht desertiert sind". Mehdi war bis zum vergangenen Februar Leutnant der libyschen Luftwaffe. Als er diese Worte spricht, steht er in Zintan einer bislang einzigartigen Zeremonie vor: dem Gelöbnis des ersten Bataillons von Soldaten in den Bergen Westlibyens. Das Bataillon ist ein Teil der neu formierten Nationalarmee. Die schlichte Zeremonie wird in einem ehemaligen Schulhof in Zintan durchgeführt. Das grüne Betongebäude der Schule wurde von den Rebellen zunächst zu einem Gefängnis gemacht. Heute fungiert es als Hauptquartier der neuen Nationalarmee im Nafus-Gebirge. "70 der 350 desertierten Soldaten aus dieser Region sind heute wieder als Soldaten in der neuen Armee aktiv", erklärt Abdulla al-Mehdi im Gespräch mit der Deutschen Welle. Ihr Training hätten sie schnell durchlaufen, "da sie alle bereits militärisch ausgebildet waren", fügt der Rebellenoffizier hinzu.
70 Kilometer vor Tripolis
Der frühere Techniker der libyschen Luftwaffe, Mohamed Ali Abusah, gehört zu den 70 neuen Rekruten. "Ich bin zu Beginn der Revolution desertiert. Hier ist es einfacher. Es gibt weniger Druck als in Städten wie Tripolis oder Sawija", sagt der 47-jährige Rekrut. Auch wenn der Krieg vorüber sei, werde er der neuen libyschen Armee weiter als Soldat angehören, meint Abusah und fügt hinzu: "Ich bin mein Leben lang Soldat gewesen. Etwas anderes habe ich nicht gelernt."
Das Nafusa-Gebirge erstreckt sich über eine Distanz von 200 Kilometern von der tunesischen Grenze bis zu den südlich von Tripolis gelegen Hügeln. Seit der Grenzübergang in die Hände der Rebellen gefallen ist, werden sie von hier mit Vorräten aller Art versorgt. Manche Freiwillige schließen sich ihrem Kampf an.
Auch Hamsa Hamad gehört dem neuen Bataillon an. Er ist 25 Jahre alt und verfügte über nur geringe militärische Vorkenntnisse, als im Februar der Aufstand gegen Muammar al-Gaddafi beginnt. "Wir wollen noch vor Beginn des Ramadans Tripolis erreichen, sonst wird es eine schmerzhafte Angelegenheit bis September oder sogar noch länger", sagt der junge Soldat im Gespräch mit der Deutschen Welle. Da an den Fronten in Brega und Misrata gegenwärtig Stillstand herrscht, ist das Gebirgsmassiv im Westen die am nächsten zu Tripolis gelegene Front. Zwischen der Wüstenoase Bir Ghanoum und der Residenz von Gaddafi liegen nur noch 70 Kilometer flachen Landes.
Loyal gegenüber Gaddafi
Die Berber-Ortschaft Jefren gehört zu den am stärksten betroffenen Städten des anhaltenden Krieges. Im örtlichen Krankenhaus, dessen Wände Einschusslöcher aufweisen, werden verwundete Rebellen behandelt. Der einzige mit einem Schloss versehene Raum beherbergt jedoch zwei Soldaten, die nicht aus Gaddafis Armee desertiert sind. Abdul will aus Angst vor Repressalien gegenüber seiner Familie im heimischen Sorma seinen Nachnamen nicht nennen. Er erzählt, dass er von den Rebellen gefangen genommen wurde, nachdem er durch einen Schuss ins rechte Bein verletzt worden war. "Man hat uns gesagt, wir würden gegen ausländische Söldnertruppen kämpfen - Algerier, Äthiopier, Tschader und Al-Kaida-Terroristen. Dann aber haben wir gemerkt, dass es Libyer waren." Warum er nicht desertiert sei? "Zunächst hatten wir keine Informationen über unseren Feind. Dann sind diejenigen, die zu desertieren versuchten, zwischen die Frontlinien geraten." Er sei nun schon seit 25 Tagen in diesem Krankenhaus und würde sowohl von den Rebellen als auch vom medizinischen Personal anständig behandelt, fügt er hinzu.
Kommen neue Deserteure zu spät?
Zurück in Zintan begeben sich die 70 neu rekrutierten Soldaten gerade auf ihre Stuben, um sich auszuruhen. Keiner von ihnen ist glücklich darüber, dass er nun gegen frühere Kameraden kämpfen muss. Ob neue Deserteure noch aufgenommen werden sollen - dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen unter den Soldaten.
Einer der Soldaten, Abdul Hamid Baschir, meint, neue Deserteure kämen zu spät. "Viele von ihnen werden versuchen, zu uns überzuwechseln, wenn sie merken, dass sie den Krieg verloren haben. Dazu ist es jetzt aber zu spät, und dazu sind auch zu viele Grausamkeiten begangen worden", meint Baschir. In einigen Tagen geht der Aufstand in Libyen in seinen sechsten Monat.
Sein Kamerad, Ahmed Dueb, sieht das anders: "Selbst wenn sie erst nach 10 Monaten zu uns kommen, sollten wir sie mit offenen Armen empfangen. Wir sind alle Libyer und alle Opfer des gleichen Tyrannen."
Autor: Karlos Zurutuza
Redaktion: Robert Mudge, Daniel Scheschkewitz