Oktoberfest nach Nine Eleven
23. September 2011Die Geschichte des Oktoberfests ist auch die der Familie Schottenhamel. Michael F. Schottenhamel ist in vierter Generation Wiesnwirt, sein "Schottenhamel" das älteste Festzelt auf der Theresienwiese. 1867 empfing hier zum ersten Mal ein Familienmitglied Gäste, ein Michael. "Ein Traditionsname bei uns", sagt Michael F. Auch sein eigener Sohn trägt ihn.
Tradition spielt eine große Rolle in der Wirtsdynastie. Als vor zehn Jahren in New York, Washington und Pennsylvania Terroristen Tausende Menschen töteten, stand für Michael F. Schottenhamel deshalb auch fest: das Oktoberfest findet dennoch statt. Das hatte es immer, seit er denken kann. Schon als junger Bursche arbeitete der 54-Jährige auf der Wiesn. Damals arbeitete er als so genannter Schankkassier (Kontrolleur). 2001 war der Gastronom für die Reservierungen im Festzelt verantwortlich. Die begehrten Feierplätze sind stets Wochen vorher vergeben, Absagen gibt es fast nie. Doch nach den Anschlägen in den USA kamen bald die ersten Faxe und Anrufe. Anders als von Schottenhamel erwartet, wurde das Oktoberfest in Frage gestellt.
Feiern in diesen Tagen? Oder Verzichten als Zeichen der Solidarität? Und die Sicherheit? In den ersten Tagen nach dem 11. September fragten das nicht nur Journalisten. "Der Gedanke, auch bei uns könnte etwas passieren, war natürlich da", erinnert sich Wolfgang Wenger, damals wie heute Sprecher der Münchner Polizei. Das Oktoberfest ist eines der größten Volksfeste der Welt. Rund sechs Millionen Menschen kommen in den zwei Wochen aus der ganzen Welt. Hunderttausende sind hier jeden Tag auf engstem Raum beieinander. Ein für Terroristen attraktives Anschlagsziel also.
1980 werden auf der Wiesn 13 Menschen Opfer von Terror
Und einmal war es ja schon passiert: 1980 explodierte am Haupteingang ein Sprengsatz. 13 Menschen starben, Hunderte wurden verletzt. Wiesnwirt Michael F. Schottenhamel erlebte den Anschlag hautnah. In seinem Auto war er auf Höhe der Theresienwiese unterwegs, als er einen lauten Knall hörte. "Ich war der Meinung, dass die Straßenbahn entgleist sein muss", weiß er noch genau. Erst am Fernseher daheim erfuhr er Genaueres.
Die Tat gilt als schwerster Terrorakt der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die genauen Hintergründe sind bis heute umstritten, ein Rechtsextremer soll die Tat alleine begangen haben. Wolfgang Wenger hatte am Tag nach dem Angriff Dienst. Was er damals als junger Polizist erlebte, hat er bis heute nicht vergessen: weinende Menschen, trauernde Familienangehörige, ein Ort des Schreckens. Im ersten Augenblick schwor er sich, nie wieder einen Fuß auf das Festgelände zu setzen. Später ging er doch wieder hin. Das Oktoberfest wurde zwei Tage nach dem Anschlag fortgesetzt.
"The Games must go on"
Auch am 14. September 2001 beschließt der Ältestenrat des Münchner Stadtrats: Die Wiesn finden statt! "Ich bin froh, dass das Oktoberfest dann durchgeführt wurde", sagt Gabriele Weishäupl. Als Tourismuschefin ist sie seit 26 Jahren auch für das Volksfest verantwortlich. Man dürfe nicht vor dem Terrorismus zurückweichen. Genau wie 1972. Bei den Olympischen Sommerspielen in Bayerns Hauptstadt hatten palästinensische Terroristen Athleten der israelischen Mannschaft entführt. Ihre Befreiung scheiterte, insgesamt 17 Menschen kamen ums Leben. Weishäupl arbeitete damals als Hostess.
"The Games must go on" – an die Worte des IOC-Präsidenten erinnerte sich die 64-Jährige 2001. Und formulierte selber: "Ein Fest der Lebensfreude darf man nicht absagen". Die Wiesn kamen, wenn auch unter anderen Vorzeichen: Die Verantwortlichen erhöhten die Sicherheitsmaßnahmen. Erstmals kamen auf dem Festgelände Überwachungkameras zum Einsatz. Zehn Jahre später haben Polizisten in der jedes Jahr eigens eingerichteten Wache 17 Kameras im Blick. Außerdem wurde die Zahl der Einsatzkräfte erhöht. Bis zu 300 Beamte gleichzeitig sind heute auf der Wiesn unterwegs und kontrollieren das bunte Treiben.
Hundertprozentige Sicherheit könnten aber auch diese Maßnahmen nicht garantieren, betont Polizei-Sprecher Wolfgang Wenger. Damals sei nicht "die Zeit für blinden Aktionismus gewesen", und auch bewerte man die Sicherheitslage immer wieder aufs Neue und reagiere entsprechend. Auf die Frage, ob das Oktoberfest sicher ist, antworte er stets: "Ich gehe mit meinen Kindern hin." Wenn wir unser Leben einstellen, hätten die Terroristen ihr Ziel erreicht.
Blues statt Fassanstich
Traditionell werden die Festwochen im Schottenhamel-Festzelt eröffnet. Seit 1950 sticht der Münchner Oberbürgermeister hier das erste Bierfass an. Vor zehn Jahren wurde darauf verzichtet. Unter Beisein des amerikanischen Generalkonsuls sang stattdessen ein Bluessänger ein Lied. In Reden gedachte man der Opfer und Menschen von New York.
"Der Schatten der Türme des World Trade Centers lag direkt über dem Fest", erinnert sich Wiesn-Chefin Gabriele Weishäupl. Vor allem in der ersten Woche habe man "die Traurigkeit der Besucher sehr spüren können". Doch langsam wichen die Regenwolken der Sonne. Und der Blues der bayerischen Stimmungsmusik. Am Ende war es fast wie immer.
Autor: Michael Borgers
Redaktion: Julia Elvers-Guyot