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Alle außer Großbritannien

9. Dezember 2011

Großbritannien steht allein auf weiter Flur. Ist Europa nun gespalten? Nein, sagen die Staats- und Regierungschefs der EU. Und Kanzlerin Merkel findet: Auch ohne Briten wird der Euro durch die neuen Beschlüsse gestärkt.

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Premierminister David Cameron auf einer Pressekonferenz nach dem Krisengipfel in Brüssel (Foto: AP)
Bild: dapd

Die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite hatte Mühe, ihr Temperament im Zaum zu halten. "Nein, nein, nein", rief sie in die Fernsehkameras und Mikrofone, "nicht Europa ist gespalten, sondern Großbritannien ist draußen." Frisch frisiert und umgezogen kam die resolute blonde Dame als einer der ersten Staatschefs wieder im Gipfelgebäude in Brüssel an und sprang geradezu energiegeladen aus ihrer schweren Limousine. Geschlafen hatte sie nicht viel, denn die Verhandlungen dauerten bis um fünf Uhr früh. Um neun Uhr musste Dalia Grybauskaite wieder im Saal sein, schließlich galt es, den Beitrittsvertrag für Kroatien pünktlich zu unterschreiben. Ein späterer Beginn kam für die Gipfelregie nicht Frage.

Wenig Schlaf macht mürbe

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy auf einer Pressekonferenz nach dem EU-Gipfel in Brüssel (Foto: dapd)
Legendäre Wutausbrüche: Frankreichs Präsident SarkozyBild: dapd

Staats- und Regierungschefs brauchen wenig Schlaf, meinte dazu ein Beamter des Protokolls mit saurem Lächeln. Auch er war fast 24 Stunden auf den Beinen. Nächtliche Verhandlungen und Schlafentzug gehören zum Instrumentarium bei vielen Verhandlungen in der EU, um das Gegenüber weich zu klopfen. Angela Merkel und Nicolas Sarkozy bewiesen in der Nacht zu Freitag Stehvermögen. Die Kanzlerin wollte eine Entscheidung erzwingen und blieb einfach immer weiter in den Verhandlungssälen sitzen. Während sie, ganz in Schwarz gekleidet, die Seriöse gab und versuchte, den britischen Premierminister David Cameron davon zu überzeugen, die EU-Verträge zu ändern, spielte Frankreichs Präsident Sarkozy "Rakete". So nennen seine Vertrauten die legendären Wutausbrüche, in die sich Sarkozy quasi auf Kommando hineinsteigern kann. Dem Briten, den er erst vergangene Woche in Paris zu Gast hatte, soll er sehr deutlich gesagt haben, was er von dessen Alleingang hält. Großbritannien solle nicht blockieren und nicht fordern, was nicht zu erfüllen sei.

Cameron: "Ohne mich"

David Cameron, der zuhause unter großem Druck seiner eigenen konservativen Euro-Skeptiker steht, blieb standhaft und verhinderte so, dass die Europäische Union sich einen neuen Vertrag geben kann. Gegen drei Uhr früh verließ Cameron die Veranstaltung. Er konnte am längsten schlafen. Dann wurde Plan B im Gipfelgebäude verhandelt. Nach einigem Hin und Her, das auch am Vormittag anhielt, ist nun klar, dass die 17 Euro-Staaten und neun weitere EU-Mitglieder einen eigenen Vertrag über eine Fiskal-Union schließen wollen. Also alle außer Großbritannien. Die neun Nicht-Euro-Staaten wollen aber zunächst zuhause ihre Parlamente konsultieren.

Als das Ergebnis feststand, ging Bundeskanzlerin Angela Merkel müde, aber locker vor die Presse. Sie hatte inzwischen auch die Jacke gewechselt. Von düsterem Schwarz in der Nacht zu knalligem Pink am Morgen. Die Abspaltung Großbritanniens redete die Kanzlerin klein. Sie hatte sich schließlich mit ihren Vorstellungen zu einer Fiskalunion mit Schuldenbremse und strenger Haushaltsüberwachung für fast alle EU-Staaten durchgesetzt. In der deutschen Delegation hoffte man am Freitag (09.12.2011), dass die Finanzmärkte diese Führungskraft und relative Geschlossenheit auch würdigen würden. Die Aktienkurse in Europa zogen etwas an. Das Echo der Wirtschaftsfachleute ist aber gespalten.

Woher kommt das Geld?

Die Journalisten in der riesigen Glashalle, die als Pressesaal dient, waren überrascht, wie sehr sich die EU wieder mit ihren eigenen Fragen, Geschwindigkeiten, juristischen Winkelzügen und nationalen Eigenheiten herumschlagen musste, angesichts einer Krise, die die gemeinsame Finanz- und Wirtschaftsordnung bedroht. Die finanziellen Signale an die nervösen Anleger, die europäische Staatsanleihen verschmähen, waren eher schwach. Nach dem Gipfel äußerte sich Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds eher zurückhaltend. Die EU hatte sich verpflichtet innerhalb von zehn Tagen 200 Milliarden zu mobilisieren, die via IWF als Kredite an Krisenstaaten wie Italien gehen sollen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel nach langen Verhandlungen beim Krisengipfel in Brüssel (Foto: dpa)
Geschlafen wird im Flugzeug: Bundeskanzlerin MerkelBild: picture-alliance/dpa

Auf die Frage, woher das Geld genau komme, erwiderte Lagarde nur süffisant lächelnd: "Das zahlen freiwillige Staaten, die dazu bereit sind." 150 Milliarden Euro könnten aus dem Euroraum kommen, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel dazu. Sie sprach von bilateralen Kreditlinien, die von der Bundesbank bereitgestellt werden sollen. Wo die restlichen 50 Milliarden Euro aufgetrieben werden sollen, weiß man nicht so recht. Einzelheiten sind unklar, wie so oft, wenn die EU Beschlüsse zur Krise fasst.

Briten schaden sich selbst

Lange Nächte hat es im Ratsgebäude der Europäischen Union schon oft gegeben, aber selten stand ein Mann so alleine gegen den Rest wie der britische Premier. Das Verhalten David Camerons erinnert erfahrene Diplomaten an den verstorbenen polnischen Präsidenten Lech Kaczynski. Der hatte die Verhandlungen zur Europäischen Verfassung blockiert. "Aber damals", so stöhnt ein EU-Diplomat, "ging es nur um Paragrafen und doppelte Mehrheiten, heute geht es um Geld und das Überleben der Union." Viele Beobachter sind sich einig, dass der britische Sonderweg dem Königreich eher schaden als nutzen wird. Der Einfluss Londons auf Europa schwindet.

Bundeskanzlerin Angela Merkel erinnerte daran, dass auch britische Banken leiden, wenn es der Euro-Zone nicht gut geht. Vielleicht würden es sich die Briten ja noch einmal überlegen. Am Ende des Gipfelmarathons versagte Angela Merkel allmählich die Stimme. Sie krächzte sich durch ihre abschließende Pressekonferenz. Regierungschefs müssen doch irgendwann schlafen, wenigstens im Flugzeug zurück nach Berlin. Es waren genügend EU-Krisengipfel in diesem Jahr. Angela Merkel sagt, vor Weihnachten solle es keinen weiteren mehr geben.

Autor: Bernd Riegert
Redaktion: Rolf Breuch