Algerischer Ex-Präsident Bouteflika gestorben
18. September 2021Eigentlich hatte er sein Amt noch einmal antreten wollen, doch seine Landsleute wollten es anders. Als Abdelaziz Bouteflika, Jahrgang 1937, im Jahr 2019 noch einmal für das Präsidentenamt kandidieren wollte, hatte er den Unmut der algerischen Wähler offenbar unterschätzt. Die gingen landesweit auf die Straße. Der greise, bereits in den Vorjahren in der Öffentlichkeit kaum noch sichtbare Präsident solle sich aus der Politik zurückziehen, forderten sie. Bouteflika fügte sich und zog seine Kandidatur zurück. Nachfolger im Amt wurde Abdelmadjid Tebboune.
Bouteflika hatte das Staatsamt 20 Jahre, seit 1999, inne - zuletzt allerdings, so empfanden es jedenfalls viele Algerier, nur noch symbolisch. Seit einem Schlaganfall 2013 saß er im Rollstuhl, seine öffentlichen Auftritte der letzten Jahre ließen sich an einer Hand abzählen. Selbst die Kandidatur vom Frühjahr 2019, hieß es, sei gar nicht auf seinen Willen, sondern den seiner Umgebung zurückgegangen. Bouteflika galt vielen Bürger zuletzt als Phantompräsident, hinter dem "le pouvoir" - "die Macht", also die engste Umgebung des Präsidenten - die Fäden zog.
El Mali, der Kämpfer
Zuvor hatte Abdelaziz Bouteflika ein halbes Jahrhundert die Geschicke Algeriens mitbestimmt. Geboren wurde er 1937 in Oujda, im Osten Marokkos gelegen. Der Sohn algerischstämmiger Eltern, die in der Stadt ein maurisches Bad betrieben, setzte sich schon in jungen Jahren unter dem Kriegsnamen Si Abdelkader El Mali für die Unabhängigkeit Algeriens von der Kolonialmacht Frankreich ein. 1954 trat er der soeben gegründeten Nationalen Befreiungsfront (FLN) bei. Als Vertrauter des späteren algerischen Präsidenten, Oberst Houari Boumédiène, machte Bouteflika im Militär Karriere.
Seine Zugehörigkeit zur FLN und seine Kontakte ermöglichten ihm nach der Unabhängigkeit Algeriens 1962 einen schnellen politischen Aufstieg. Mit gerade einmal 25 Jahren wurde er Minister für Jugend, Sport und Tourismus. Ein Jahr später war er bereits Außenminister, ein Amt, das er bis 1979 ausübte.
In jener Zeit machte er sich und sein Land zum Sprachrohr arabischer Staaten sowie der Bewegung der Blockfreien Staaten, die keinem Militärblock angehörten und sich im Ost-West-Konflikt neutral verhielten. Dies hinderte Bouteflika aber nicht, enge Kontakte zu den sozialistischen Ländern des Ostblocks zu knüpfen. Zugleich bemühte er sich aber auch um gute Beziehungen zur ehemaligen Kolonialmacht Frankreich.
Im Exil
Bouteflikas politische Karriere wurde jedoch jäh unterbrochen: 1978, nach dem Tod seines militärischen und politischen Ziehvaters Houari Boumédiène, der seit einem Militärputsch im Jahr 1965 die Staatsgeschicke gelenkt hatte, deutete zunächst vieles auf Bouteflika als dessen Nachfolger hin. Doch seine dem Militär entstammenden Gegner nahmen es ihm übel, dass er ihre Macht zu beschneiden versucht hatte. Parteirivalitäten und Korruptionsvorwürfe sorgten für den Ausschluss Bouteflikas aus der FLN und zwangen ihn 1978 ins Exil in der Schweiz, in Frankreich und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Dort arbeitete er als politischer Berater. 1987 kehrte er nach Algerien zurück.
In jener Zeit erlebte er, wie sein Heimatland unaufhaltsam auf einen Bürgerkrieg zusteuerte. In den 1980er Jahren durchlebte Algerien eine schwere wirtschaftliche Krise. Immer mehr Menschen sympathisierten aus Protest mit den radikalen Islamisten. Als diese mit ihrer Partei, der Islamistischen Heilsfront (FIS), die Parlamentswahlen 1991/92 zu gewinnen schienen, annullierte die Regierung den Urnengang. Die Gewalt nahm ihren Lauf, es kam zum Bürgerkrieg zwischen radikalen Islamisten und Staatsmacht. In blutigen Kämpfen starben mehr als 120.000 Menschen.
"Sterben für den Frieden"
Es war schließlich Bouteflika, der nach sieben Jahren entschieden dazu beitrug, den Bürgerkrieg zu beenden: "Ich bin entschlossen, Frieden zu machen und bereit, dafür zu sterben", sagte er unmittelbar nach seiner Wahl als algerischer Staatspräsident 1999 in einer Rede an die Bevölkerung. Der neue Präsident stand vor einer gewaltigen Aufgabe: Er musste das Land endgültig zurück zum Frieden führen und die gespaltene Gesellschaft einen.
Anfangs monierten Kritiker allerdings, seine Konkurrenten um das Amt seien mit teils fragwürdigen Mitteln dazu gebracht worden, ihre Kandidatur zurückzuziehen. Entschlossen trat er dann aber für die nationale Versöhnung ein. Deren Preis bestand in einer generellen Amnestie, in deren Genuss Kriegsverbrecher auf Seiten des Militärs ebenso wie auf jener der Islamisten kamen.
Ein schwieriges Erbe
Im Jahr 2000 sprach er während eines Staatsbesuchs vor dem französischen Parlament: Algerien wolle zu Frankreich "außergewöhnliche, nicht banale, nicht normale, beispielhafte" Beziehungen. Mit dem damaligen französischen Präsidenten Jacques Chirac plante er einen Freundschaftsvertrag zwischen beiden Ländern, der aber bis heute nicht umgesetzt wurde. Enge wirtschaftliche Beziehungen sowie die rund 1,7 Millionen in Frankreich lebenden Algerier verbinden die beiden Länder gleichwohl, ebenso wie das schwierige Erbe der Kolonialgeschichte.
"Ich habe von überall gehört, dass das Land mich braucht. Dieser Appell ehrt mich. Ich kann den Willen des Volkes nicht ignorieren", sagte Bouteflika im April 2009 - und kandidierte nach dem Ende seiner zweiten Amtszeit erneut als Präsident. Dass genau dies laut Verfassung eigentlich verboten war, stellte nur ein geringes Hindernis dar: Der entsprechende Paragraph wurde einfach geändert. Bouteflika stellte sich zur Wahl und gewann, jedenfalls offiziell.
Eine Zeit lang stand Bouteflika für stabile Verhältnisse. Der Ölreichtum des Landes brachte mehr Geld ins Land als je zuvor. Doch dann fiel der Ölpreis und setzte die von Exporten abhängige algerische Wirtschaft immer stärker unter Druck. Die Arbeitslosenquote stagnierte bei rund zehn Prozent, über ein Viertel der Bevölkerung kann bis heute weder lesen noch schreiben. Viele junge Algerier wollen deshalb das Land verlassen - auch weil ihnen die grassierende Korruption keine Chance lässt, angemessene Arbeitsplätze zu finden.
Widerstand gegen Bouteflika
Diese Missstände trieben im Frühjahr 2011 im Zuge des "Arabischen Frühlings" auch die Algerier auf die Straße. Bouteflika versuchte, die Demonstranten durch politische Versprechen zu beschwichtigen - etwa eine Überarbeitung der Verfassung und des Wahlrechts. Erfüllt wurde das Versprechen nicht.
Entsprechend schwer hatte es von Beginn an sein Nachfolger Abdelmadjid Tebboune, das Vertrauen der Algerier zu gewinnen. Viele hatten auf einen radikaleren Systemwechsel gehofft. Auf die Proteste der 2019 gegründeten Massenbewegung "Hirak" reagierte der algerische Staat aber mit Härte: Hunderte Aktivisten wurden verhaftet. Doch zugleich löste Tebboune im Februar 2021 die Nationalversammlung auf und bildete die Regierung um.
Bouteflika selbst hatte für grundlegende Reformen zuletzt offenbar die Kraft gefehlt. "Die Generation, die das Land befreit hat, ist an ihr Ende gekommen", hatte er bereits Mai 2012 auf einer Wahlveranstaltung ausgerufen. "Bereitet euch darauf vor, die Zügel in die Hand zu nehmen", forderte er die jungen Algerier auf.
Diese Zügel entglitten ihm selbst zusehends, als sich sein Gesundheitszustand immer weiter verschlechterte. 2013 erlitt er einen ersten Schlaganfall, zuvor war bereits Magenkrebs diagnostiziert worden. Seine letzten Lebensjahre verbrachte der Präsident zurückgezogen und ließ sich immer wieder in europäischen Kliniken behandeln. Nach langer Krankheit ist er im Alter von 84 Jahren gestorben, wie das Präsidentenbüro in Algier mitteilte.