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PolitikAlgerien

Algerien: Harter Kurs gegen Menschenrechtler

31. Januar 2023

Aktivisten beklagen zunehmende Repressionen in Algerien: Ein prominenter Journalist sitzt seit Ende vergangenen Jahres in Haft. Kürzlich wurde zudem unter fragwürdigen Umständen eine Menschenrechtsgruppe aufgelöst.

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Verhaftung eines Journalisten in Algier im Jahr 2019
Verhaftung eines Journalisten bei einer Demonstration in Algier (Archivbild von 2019)Bild: Fateh Gudoum/picture alliance/AP Photo

Dass sie verboten worden war, erfuhr die Algerische Liga zur Verteidigung der Menschenrechte (LADDH) auf Umwegen, nämlich durch Postings in sozialen Medien. Dort war in der zweiten Januarhälfte von unbekannter Seite das Dokument veröffentlicht worden, in dem ein Verwaltungsgericht in der Hauptstadt Algier die Auflösung der Algerischen Liga zur Verteidigung der Menschenrechte angeordnet hatte - und zwar bereits im September vergangenen Jahres. Kurz drauf veröffentlichte die LADDH das Dokument auf ihrer Facebook-Seite.

In dem Dokument wird die LADDH "subversiver Aktivitäten" beschuldigt, die den Reformprozess in Algerien behinderten und darauf abzielten, die öffentliche Ordnung zu behindern. Die LADDH habe die Protestbewegung im Lande angestachelt und "falsche Berichte über die Menschenrechtslage in Algerien" veröffentlicht.

Gezielte Veröffentlichung?

Die 1985 gegründete Liga gilt als eine der aktivsten Menschenrechtsgruppen in Algerien. Den Behörden war dies schon länger ein Dorn im Auge. Bereits im Mai 2022 hatte das algerische Innenministerium die gerichtliche Auflösung der LADDH beantragt.

"Der Staat nimmt uns übel, dass wir jene Arbeit machen, die alle Menschenrechtsorganisationen weltweit machen", sagt Said Salhi, Vizedirektor von LADDH. "Wir weisen auf Missstände hin, wir dokumentieren, wir setzen uns mit den Mechanismen der Macht auseinander. Auf dieser Grundlage ist unsere Arbeit verboten worden. Darum werden viele unserer Aktivisten als 'Terroristen' bezeichnet." Die LADDH sei weder über die Anklage noch über den Prozess noch über das Urteil informiert worden, so Salhi im DW-Interview.

Blick in ein Büro der LADDH
Aktivisten in einem Büro der kürzlich aufgelösten LADDHBild: Tizi Ouzou/dpa/picture alliance

Dass das Dokument ausgerechnet Mitte Januar in den sozialen Medien an die Öffentlichkeit gelangte, steht für Salhi in einem Zusammenhang mit dem Besuch der stellvertretenden US-Staatssekretärin für internationale Organisationen, Michele Sison. Sie reiste vom 21. bis 26. Januar nach Algerien und Marokko, um dort unter anderem über Menschenrechtsfragen zu sprechen.

"Indem die Behörden LADDH zuvor aufgelöst und dies dann kurz vor dem Besuch publik gemacht haben, geben sie der Staatssekretärin zu verstehen, dass sie in der LADDH keinen Ansprechpartner mehr hat", umreißt Salhi seine Vermutung. Seitens der algerischen Behörden gibt es zum Vorgang keine Bestätigung, auch eine Anfrage der DW an die algerische Botschaft in Berlin blieb bisher unbeantwortet.

Kritik von internationalen Nichtregierungsorganisationen

In Reaktion auf die Schließung der LADDH kritisierten Ende vergangener Woche in Paris auch drei international tätige Menschenrechtsorganisationen - die Menschenrechtsliga (LDH), die Internationale Föderation für Menschenrechte (FIDH) und die Weltorganisation gegen Folter (OMCT) - in einer gemeinsamen Erklärung die Situation der Menschenrechte in Algerien. Diese verschlechtere sich weiter, bemängelten die drei Organisationen, das Vorgehen der algerischen Regierung sei "besorgniserregender denn je".

Seit 2019 sei es in Algerien zu einer "ständigen Verschlechterung und eindeutigen Verletzung der Grundrechte und Grundfreiheiten" gekommen. Auch mehrere algerische Menschenrechtsgruppen kritisierten in einer Stellungnahme die Schließung der LADDH.

"Legalistische Repression"

In Algerien könne man "eine Art legalistischer Repression" durch Gerichtsurteile beobachten, sagt die Politologin Maria Josua vom "German Institute for Global and Area Studies" (GIGA) in Hamburg. "Diese Urteile haben oftmals keine wirklich rechtliche Grundlage, sondern ziehen fadenscheinige und vage Begründungen heran wie etwa die Bedrohung der Einheit und Stabilität des Staates. Viele Aktivisten wurden auf Grundlage derartiger Gesetze verhaftet", so die Algerien-Expertin. "Im Falle der LADDH geschah das auf geradezu kafkaeske Weise: Nicht einmal ihr selbst wurde mitgeteilt, dass gegen sie vorgegangen wird. So hatte sie keinerlei Möglichkeit, sich zu verteidigen oder auch nur von dem Urteil zu erfahren."

Dass eine solche Gerichtsentscheidung zunächst geheim bleibt, sei ein Hinweis darauf, dass der Staat sich eigentlich bewusst sei, wie fraglich sein Vorgehen ist - so die Interpretation von Maria Josua. "Der Umstand, dass man sich dennoch auf rechtliche Grundlagen beruft, weist aber auch darauf hin, dass man immer noch einen Anschein von Rechtsstaatlichkeit zu bewahren versucht."

Prominenter Journalist in Haft

Doch nicht nur Menschenrechtler stehen in Algerien unter Druck. In ihrem gemeinsamen Schreiben kritisieren die drei genannten Organisationen auch die andauernde Inhaftierung des prominenten Journalisten Ihsane El Kadi. Dieser sitzt seit Ende vergangenen Jahres in Haft.

Der inhaftierte Journalist Ihsane El Kadi - hier ein Screenshot seines Twitter-Accounts
In Haft: der Journalist Ihsane El Kadi - hier ein Screenshot seines Twitter-AccountsBild: twitter.com/elkadiihsane

Die algerische Staatsanwaltschaft beschuldigt ihn der "Propaganda für ausländische Parteien". Außerdem, so die Anklage weiter, habe er illegal Spenden gesammelt - und zwar "von Personen und Organisationen innerhalb und außerhalb des Landes." Dadurch habe er die Sicherheit des Staates wie auch die nationale Einheit gefährdet. Konkreter äußerten sich die Ankläger nicht.

El Kadi, Chef der liberalen Nachrichten-Website 'Maghreb Emergent' und des Senders Radio M, hatte sich wiederholt kritisch über die Regierungsarbeit geäußert. So hatte er etwa öffentlich den Erfolg ihrer Antikorruptionsbemühungen bezweifelt. Nun könnte ihm eine Haftstrafe von bis zu sieben Jahren drohen.

Der harte Kurs der Regierung geht auf das Jahr 2019 zurück, als sich die Protestbewegung Hirak gründete. Sie wandte sich zunächst gegen eine erneute Kandidatur des damaligen, inzwischen verstorbenen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika. Infolge dieser Proteste trat Bouteflika wenige Monate später, im April 2019, von seinem Amt zurück. Doch auch danach griff Hirak  weiterhin Missstände auf, wie etwa Korruption.

Kundgebung der Protestbewegung Hirak in Algiers, 2021
Kundgebung der Protestbewegung Hirak in Algiers, 2021Bild: Mousaab Rouibi/AA/picture alliance

"Derzeit zeigt sich sehr deutlich, dass die Regierung keinen guten Stand hat", sagt Politikwissenschaftlerin Josua. "Darum versucht sie, sich durch Repression zu halten." Ob dies auf lange Sicht gelingen wird, hält die Algerien-Expertin für fraglich: "Der Unmut in der Bevölkerung ist erheblich."

Menschenrechtler: Regierung will keine Zeugen

Die Repression habe bereits viele Aktivisten der nun verbotenen Menschenrechts-Liga LADDH getroffen, berichtet deren Vizechef Salhi. "Rund ein Dutzend Leute wurden auf Grundlage schwerwiegender Anklagen, insbesondere wegen angeblichen Terrorismus, inhaftiert. Einige haben bereits viele Monate in Haft gesessen. Andere sind ins Exil gegangen." Auch er selbst lebe deshalb in Belgien. "Die Regierung will verhindern, dass die LADDH als Zeugin solcher Repression bestehen bleibt."

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DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika