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Sehnsuchtsort Afrika

Andrea Kasiske4. November 2013

Musik aus Afrika ist für viele europäische Jazzer eine großartige Inspirationsquelle. Afro-Amerikaner suchen in den Klängen des schwarzen Kontinents ihre Wurzeln. Sehnsuchtsort Afrika – im Jazz ganz aktuell.

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***ACHTUNG: Verwendung nur zur aktuellen Berichterstattung. Siehe Nutzungsbedingungen weiter unten.*** Pressefotos: Bitte beachten Sie das Copyright. Wenn nicht anders gekennzeichnet ist der Abdruck für Vorankündigungen und Programmhinweise zum Jazzfest Berlin 2013 / Berliner Festspiele und bei Nennung der/des Fotografin/Fotografen honorarfrei. Quelle: http://www.berlinerfestspiele.de/de/aktuell/festivals/jazzfest/presse_jazz/pressefotos_jazzfest2013/jazz13_pressefotos.php
Bild: Ali Ghandschi

Er sei ein "Afrikaner, der in Berlin geboren ist", sagt der Voodoomusiker Joseph Bessan Kouassi über den Jazzpianisten Joachim Kühn. Er ist zwar nicht in Berlin sondern 1944 in Leipzig geboren, aber Kouassi spielt auf sein musikalisches Credo an: Kühn war schon zu DDR-Zeiten ein Freigeist des Freejazz. Seit Jahren reist er nach Nordafrika, hat in Marokko mit volkstümlichen Musikern der Tuaregs und Gnawa gejamt. Obwohl der kulturelle Hintergrund ein komplett anderer war, und er sich sprachlich oftmals kaum mit ihnen verständigen konnte - spielen ging immer. Das Geheimnis sei der Rhythmus, die unendlich komplexen Spielarten der afrikanischen Perkussion. "Es gibt kaum etwas Schöneres, als mit Musik zu Rhythmus zu improvisieren," schwärmt der fast 70Jährige. Und steht damit nicht allein.

"Mit der Seele suchen"

Schon lange suchen europäische und US- amerikanische Jazzer ihre Inspiration in Afrika. Über die schwarzen Sklaven kamen die afrikanischen Rhythmen und Gesänge in die USA, wurden zur Quelle des Jazz. In den 60er Jahren suchten vor allem die afro-amerikanischen Jazzer, im Zeichen der Black Power Selbstfindung ihre musikalischen Wurzeln. Damals suchte man "mit der Seele, direkten Kontakt zu Afrika gab es kaum", sagt Bert Noglik, Leiter des Berliner Jazzfest. Das legendäre Art Ensemble of Chicago legte besonderen Wert auf die "schwarze Identität" der Musiker. Dazu gehörten afrikanische Instrumente mit entsprechenden Melodien und Rhythmen und ein manchmal allzu expressiv anmutendes afrikanisches Outfit der Musiker bis hin zu Gesichtsbemalung.

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Wirkliche Begegnungen zwischen westlichen Jazzern und afrikanischen Musikern waren zu dieser Zeit rar. Der afro-amerikanische Pianist Randy Weston reiste als einer der ersten westlichen Jazzer nach West- und Nordafrika. Er lebte in den 70ern und den 80ern in Marokko. Weston nahm die Einflüsse der rituellen Musik auf und öffnete umgekehrt "die Tür zum Jazz". Dieser konkrete Austausch blieb bei aller Suche nach den afrikanischen Wurzeln oder Spiritualität eher die Ausnahme. In den 90ern spielte der afro-amerikanische Tenorsaxophonist Pharoah Sanders erstmals mit Gnawa-Musikern in Marokko - ein konkreter Brückenschlag zu seinen eigenen afrikanischen Wurzeln und für ihn ein Aha-Erlebnis: Er hatte den Musikern eine seiner Kompositionen gegeben. "Das Stück klang dann völlig anders, als ich es je zuvor gefühlt habe. Die machen wirklich ihr eigenes Ding", erzählt er.

Geballte Ladung an Rhythmen

"Wenn man mit den Afrikanern spielt, darf man nicht den Fehler machen und versuchen, afrikanisch zu spielen", das war eine wichtige Erkenntnis für Joachim Kühn, schon vor Jahren. Nur, wenn jeder sich selbst spielt, gelingt die Begegnung. Allerdings hat Kühn sich seit langem mit afrikanischer Musik und deren vielfältigen Rhythmen beschäftigt. Und er hat über die Musik Freunde gewonnen, wie den Marokkaner Majid Bekkas, der ihn immer wieder auf wichtige einheimische Musiker aufmerksam gemacht hat. Ein persönliches und musikalisches Geben und Nehmen, das aber auch eine Kenntnis der anderen Kultur voraussetzt.

Für Bert Noglik, Leiter des Berliner Jazzfests, verkörpern Joachim Kühn und Pharoah Sanders die "Kernkompetenz des Jazz", sie stellen Verknüpfungen her zwischen Kulturen, Stilistiken, Ausdrucks- und Empfindungswelten. Gemeinsam mit Joachim Kühn entwickelte er über eineinhalb Jahre das "Gnawa Jazz Voodoo" Projekt, das jetzt im Rahmen des Afrika-Schwerpunkts in Berlin uraufgeführt wurde. Fünf Perkussionisten und ein Guembri-Spieler aus Marokko, Senegal und Benin treffen auf zwei westeuropäische Freejazzer und den Altstar Pharoah Sanders. Ein Novum auf der Bühne des deutschen Jazz. Und mehr als ein punktuelles Zusammentreffen. Kühn kennt die afrikanischen Musiker seit langem.

Bert Noglik Künstlerischer Leiter Jazzfest Berlin © Patrick Hinely
Bert Noglik, künstlerischer Leiter Jazzfest BerlinBild: Patrick Hinely

Gemeinsam abheben

"Ich mag die Veränderung, wenn ich mit meiner Gnawaband spiele, dann ist das traditionell. Beim Jazz hat jeder seine Basis und von da aus machen wir gemeinsam etwas Neues", erklärt der Marokkaner Majid Bekkas seine Begeisterung für das Projekt. Gemeinsam mit dem spanischen Schlagzeuger Ramón López gehört er seit über sieben Jahren zu Joachim Kühns Trio "Africa Connection". Zwar gebe es auch in der rituellen Gnawa-Musik ähnlich wie im Jazz Standards, aber die Möglichkeit zur Improvisation sei gering, sagt er. Majid spielt die dreisaitige Guembri, eine Art Laute, die aber auch als Rhythmusinstrument dient. Zusammen mit den Qarqabu, den kleinen Schellenbäumen, entsteht der "groove" für den Jazz und die Improvisation. Aus den ekstatischen Klaviersoli von Kühn, der sprechenden Trommel des Senegalesen Moussa Sissokho und den dröhnenden Voodoogesängen von Joseph Bessan Kouassi, entsteht tatsächlich eine Einheit. "Etwas, wo wir gemeinsam abheben", so formuliert es Joachim Kühn.

***ACHTUNG: Verwendung nur zur aktuellen Berichterstattung. Siehe Nutzungsbedingungen weiter unten.*** Pressefotos: Bitte beachten Sie das Copyright. Wenn nicht anders gekennzeichnet ist der Abdruck für Vorankündigungen und Programmhinweise zum Jazzfest Berlin 2013 / Berliner Festspiele und bei Nennung der/des Fotografin/Fotografen honorarfrei. Quelle: http://www.berlinerfestspiele.de/de/aktuell/festivals/jazzfest/presse_jazz/pressefotos_jazzfest2013/jazz13_pressefotos.php
Auch beim Jazzfest Berlin 2013 dabei: Pharoah SandersBild: Quentin Leboucher

Jazz schon immer Weltmusik

Es ist vielleicht diese Unmittelbarkeit, ein gemeinsamer "Spirit", den westliche Musiker in verschiedenen Ländern Afrikas suchen. Allzu oft bleibt das an der Oberfläche von Exotismus. Die eigene Kultur wahren und die andere genau studieren als Voraussetzung für ein gelungenes Zusammenspiel, das brauche Zeit und ist einfach Arbeit, darin sind sich Kühn und Noglik einig. "Jazz war schon immer Weltmusik, hat immer schon verschiedene Kulturen verbunden", sagt der Leiter des Berliner Jazzfests. Das mag in Zeiten, wo "Weltmusik" bei großen Sendern wie BBC gerade eingestellt wurde, umso mehr ein Plädoyer sein für ein konkretes, auch politisches Statement. Afrika ist mehr als ein Sehnsuchtsort, eine ernst zu nehmende, im konkreten Fall musikalische Kultur. Und der sollten nicht nur die Jazzer "auf Augenhöhe" begegnen.