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Afghanistan-Mission: Scheitern mit Ansage?

29. September 2022

Lange vor dem chaotischen Abzug der Bundeswehr gab es Zweifel am Erfolg des Einsatzes. Das legen Aussagen des ersten Zeugen im Untersuchungsausschuss nahe.

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Ein Bundeswehr-Soldat im Tarnanzug nimmt mit seinem Maschinengewehr liegend ein Ziel ins Visier
Bild mit Symbolkraft: Die Bundeswehr hat ihre Ziele beim 20 Jahre dauernden Auslandseinsatz in Afghanistan verfehltBild: Terry Moore/StockTrek Images/imago images

Die Machtübernahme der radikal-islamistischen Taliban in Afghanistan im August 2021 kam für Enrico Genth "nicht sehr überraschend". Der Berufssoldat war bis zum erfolglosen Ende der internationalen Militär-Mission im deutschen Verteidigungsministerium für Krisen-Früherkennung zuständig. Als erster Zeuge im Untersuchungsausschuss des Bundestages sagt er am 29. September aber auch: "Alle waren überrascht, wie schnell das ging."

Seine Einschätzung deckt sich mit dem, was mehrere Fachleute aus Politik, Wissenschaft und Medien eine Woche zuvor in einer öffentlichen Anhörung berichtet haben. Bei Enrico Genth kommt hinzu, dass er 2014/15 selbst in Afghanistan gedient hat. Er weiß also aus der Perspektive eines Militärs, wie gefährlich der 2001 von den USA ausgerufene Kampf gegen den Terror für die internationalen Truppen, die einheimischen Streitkräfte und die Zivilbevölkerung war.

Folgenschwerer Vertrag zwischen den Taliban und den USA

Als "Kipppunkt" im Kriegsgeschehen bezeichnet Enrico Genth wie viele andere den Ende Februar 2020 zwischen den USA und den Taliban geschlossenen Vertrag, das sogenannte Doha-Abkommen. Darin hatten die Amerikaner den Abzug ihrer Soldaten zugesagt. Im Gegenzug wollten die Islamisten ihre Angriffe auf Truppen des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses (Nato) einstellen.

Daran hätten sich die Taliban auch gehalten, sagt der Oberstleutnant im Untersuchungsausschuss. Allerdings hätten sie ab diesem Zeitpunkt ihre Angriffe auf die afghanischen Streitkräfte verstärkt. Die seien jedoch von "externer Unterstützung" abhängig gewesen. Damit meint der Zeuge vor allem US-amerikanische Hilfe aus der Luft. Doch damit durften sie nach dem Doha-Abkommen nicht mehr rechnen. Das sei ein "Motivationsschock" gewesen.

Brisante Lageberichte gab es spätestens 2020

Schon frühzeitig bewerteten Enrico Genth und Kollegen aus der Abteilung für Strategie und Einsatz die militärische Lage als zunehmend gefährlich. Das geht aus Mails und Lageberichten hervor, die dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss vorgelegt wurden. In einem Szenario aus dem April 2020 heißt es, dass afghanische Provinzen ohne ausländische Unterstützung nach und nach an die Taliban fallen und Mädchenschulen geschlossen werden würden. 

Afghanistan: Mädchen träumen von Bildung

Diese und andere Einschätzungen basierten nach Enrico Genths Darstellung lange auch auf eigenen Erkenntnissen, konkret der Auswertung von Satellitenbildern und abgehörter Telekommunikation. Aber ab Ende Juni 2021, als die Sicherheitslage immer prekärer wurde, sei man ausschließlich auf öffentliche Quellen wie Zeitungen, Twitter und Social Media angewiesen gewesen. Zum Schluss seien die Informationen "sehr, sehr dünn" gewesen.

Am 15. August 2021 waren die Islamisten am Ziel

Das Fazit des Afghanistan-Veteranen Enrico Genth: Die Taliban hätten von Anfang an zwei Ziele verfolgt – den Abzug der internationalen Truppen und die Wiedererrichtung eines islamischen Emirats. "Das haben sie immer kommuniziert und Taten folgen lassen." Am 15. August 2021 eroberten Taliban-Truppen fast kampflos die afghanische Hauptstadt Kabul und die letzten Bundeswehr-Soldaten verließen unter chaotischen Umständen das Land.   

 

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland