Afghanistan und seine Hindus und Sikhs
3. Dezember 2012Wenn sie nicht gerade ihren typischen schwarzen oder weinroten Turban tragen, sind die Angehörigen der Sikhs im afghanischen Straßenbild nicht leicht zu erkennen. Das gilt auch für die Hindus, zwei religiöse Minderheiten, die schon seit Jahrhunderten in Afghanistan leben. In den Bürgerkriegsjahren und unter der Taliban-Herrschaft waren viele von ihnen ausgewandert.
Arandar Singh gehört zu denen, die in den letzten Jahren zurückgekehrt sind. Der Sikh ist 50 Jahre alt und in Kundus geboren. Er trägt einen schwarzen Turban und einen langen, schwarzen Bart und im übrigen die typisch afghanische Männerbekleidung Pluderhose und langes Hemd. Arandar Singh fühlt sich als Teil der afghanischen Gesellschaft und bezeichnet die Bewohner der Stadt als seine Brüder. "Wir werden von der Regierung und von den Bewohnern gut behandelt. Bei unserer Arbeit und im alltäglichen Leben gibt es keine Probleme, und wir erfüllen unsere religiösen Pflichten", so die Auskunft des Ladenbesitzers.
Die Afghanen, die zu 99 Prozent Muslime sind, schätzen die Hindus und Sikhs als angenehme Nachbarn. Ahmed Farid ist ebenfalls Ladenbesitzer in Kundus und erzählt über seine andersgläubigen Mitbürger: "Es sind sehr einfache Menschen, mit ihrer Arbeit beschäftigt, und sie bereiten ihren Mitbürgern keine Probleme. Sie sind sehr offen und freundlich." Beide Seiten würden die Religion des anderen respektieren.
Trotzdem ist nicht alles eitel Sonnenschein im Verhältnis der Minderheiten zum Rest der Gesellschaft, wie Arandar Singh erzählt. Sikhs und Hindus hätten keine Grundstück und keine Häuser, sagt er leise, während seine Finger mit seinem langen Bart spielen. Deshalb müssen sie in ihren Tempeln, den Daramsaal, leben, wo auch ihre Kinder unterrichtet werden. "Bis heute hat uns in Kundus niemand ein Haus oder Grundstück zugeteilt. Wir haben uns oft beschwert und wir fordern, dass die Menschen, die in Tempeln leben, Land bekommen." Auch er habe keinen privaten Wohnbesitz, erzählt der 50jährige.
In Kabul demonstrierten Hindus und Sikhs Ende November lautstark für ihre Interessen. Sie forderten ein Grundstück für ein Krematorium. Im Kontrast zu ihrer üblichen Bescheidenheit als unauffällige Nachbarn skandierten sie "Nieder mit der Regierung. Sind wir nicht auch afghanische Bürger?"
Wenn man in seiner Heimat keinen Friedhof bekomme, bedeute das, dass man nicht willkommen sei, sagt Darniwar Singh, ein Sikh aus Kabul. "Wir haben kein Krematorium, um unsere Toten einzuäschern und unsere Rituale abzuhalten." Seine Gemeinde müsste ihre Verstorbenen in ihrem Tempel verbrennen, berichtet Darniwar Singh. Die muslimischen Nachbarn beschwerten sich dann über den Geruch und Rauchbelästigung.
Der Bürgermeister von Kabul versprach den Hindus und Sikhs der Stadt, ein Grundstück für sie auszuweisen, für Wohnungen, ein Krematorium, und einen Park. Die Entscheidung führte jedoch zum Protest einer anderen Minderheit, nämlich des Stamms der Karokhail. Diese sind ein paschtunischer Stamm, dessen Angehörige in den Kriegsjahren nach Pakistan geflüchtet waren. Bei ihrer Rückkehr wurde ihnen von der Regierung Land zugewiesen, und eben darauf befindet sich das Grundstück, das nun die Hindus und Sikhs erhalten sollen.
Ein Stammesoberhaupt der Karokhail gibt sich kompromisslos: "Wir akzeptieren das nicht. 10.000 Familien leben hier und das Land geben wir nur über unsere Leichen ab, auch wenn wir bis zum Tod kämpfen müssen." Er besitze das Dokument, so der Clan-Chef, das Präsident Karsai seinem Stamm überreicht habe und in dem das Recht verbrieft sei, dass seine Leute dort wohnen dürfen.
Früher, vor den Kriegsjahren, hätten rund 120 Familien der Sikhs und Hindus in Kundus gelebt, erzählt Arandar Singh. In den letzten Jahren seien viele zurückgekommen, aber hätten wegen der Obdachlosigkeit ihre Heimat abermals verlassen. Aber Singh meint, er habe ja immerhin noch seinen Laden.