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Affen und Menschen denken ähnlicher als vermutet

Ann-Christin Herbe
12. Juli 2020

Bestimmte Denkmuster sind typisch menschlich - vor allem, wenn es um das Erlernen von Sprache geht. Oder? Eine neue Studie zeigt: Mit dem richtigen Training können auch Affen Grammatik lernen.

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Makaken entspannen sich in einer heißen Quelle.
Denk mal rückwärts: Das kommt mir doch irgendwie bekannt vor!Bild: picture alliance/robertharding

Menschen und Affen sprechen zwar nicht die gleiche Sprache, aber ihre Denkweisen sind deutlich ähnlicher als bisher vermutet. Das belegen neue Forschungsergebnisse der Universität von Kalifornien UC Berkeley, der Harvard University und der Carnegie Mellon University, die im Fachmagazin "Science Advances" veröffentlicht wurden.

In einem Experiment mit 100 Probanden aus verschiedenen Altersgruppen, Kulturkreisen und Spezies, fanden die Forscher folgendes heraus: bolivianische Ureinwohner, Erwachsene und Vorschulkinder aus den USA sowie Makake-Affen haben alle eine Affinität für die sogenannte Rekursion. 

Abstraktes Konzept 

Rekursion ist ein kognitiver Prozess, der im Gehirn abläuft. Zum Beispiel bei der Anordnung von Wörtern, Sätzen oder Symbolen, die komplexe Befehle, Gefühle oder Ideen ausdrücken. 

UC Berkeley Pressebild Rekursion-Experiment
Bolivianische Ureinwohner, Erwachsene und Vorschulkinder in den USA sowie Makaken nahmen an dem Experiment teil.Bild: Stephen Ferrigno, UC Berkeley

Rekursion beschreibt einen abstrakten Vorgang, bei dem Regeln auf etwas angewendet werden, das erst durch die Regeln selbst entstanden ist: Etwa ein Spiegelbild im Spiegelbild, das sich unendlich fortsetzt. 

In der Linguistik beschreibt es das Phänomen, dass in der Zerlegung einer grammatischen Einheit mit einer Kategorie, dieselbe Kategorie wieder auftauchen kann. Praktisch alle menschlichen Sprachen gelten als rekursiv. 

Nicht so menschlich wie erwartet

Vor allem die Affen schnitten in dem Experiment deutlich besser ab, als die Forscher es vorausgesagt hatten.

"Unsere Daten suggerieren, dass Affen mit ausreichendem Training kognitiv in der Lage sind, einen rekursiven Prozess abzubilden. Diese Fähigkeit ist also nicht so einzigartig menschlich wie bisher gedacht", sagt Sam Chayette, der als Doktorand an der Studie mitgewirkt an. 

Die Ergebnisse bieten laut der Studie neue Erkenntnisse über die Entwicklung von Sprache. "Zum ersten Mal haben wir aussagekräftige empirische Daten über die Denkmuster von Menschen und auch nicht-menschlicher Primaten", sagt Studien Co-Autor Stephen Piantadosi, Assistant Professor für Psychologie an der UC Berkeley.

Wieder mehr Berggorillas

Regel auf sich selbst anwenden

Um die rekursiven Fähigkeiten der Probanden zu testen, wurden ihnen zunächst verschiedene Sequenzen aus Symbolen gezeigt, zum Beispiel {()} oder {[]}. Diese Strukturen sind analog zu gewissen linguistischen Strukturen.

Der Begriff rekursiv bedeutet rück- bzw. selbstbezüglich. Rekursive Muster sind elementar für Syntax und Semantik in der menschlichen Sprache. Ein Beispiel ist die Nominalphrase "der Hund der Frau des Rentners". Hierbei handelt es sich um eine Abfolge von einzelnen Nominalphrasen, die sich aufeinander beziehen und aneinandergereiht eine neue ergeben. 

Ein anderes Beispiel für rekursive Strukturen sind eingeschobene Nebensätze, die ihrerseits eingeschobene Nebensätze enthalten. Durch das Einfügen von "und"-Sätzen, verschachtelten Relativsätzen oder Aneinanderreihungen von Adjektiven, können prinzipiell unendlich lange Sätze entstehen.

Da es sich hierbei um komplexe Denkmuster handelt, gingen die Forscher zunächst davon aus, dass die Affen weniger stark ausgeprägte rekursive Fähigkeiten haben würden.

Experiment mit Symbolsequenzen

Die Teilnehmer aus den USA sowie die Affen nutzten einen Touchscreen, um die Symbole anzuordnen. Eine Glocke signalisierte die Korrektheit der Sequenz, ein Buzzer hingegen ein Symbol an der falschen Stelle. Die Affen wurden mit Saft und Snacks für die richtige Anordnung belohnt.

Da die Tsimane, Ureinwohner im Amazonasgebiet von Bolivien, ein zurückgezogenes Leben mit nur wenig Technologie führen, erhielten sie die Symbole in Form von Papierkarten und bekamen verbales Feedback.

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Bemerkenswerte Ähnlichkeit

Das Ergebnis: Die Probanden ordneten die Symbole in der Liste alle nach rekursiven Mustern an - manche mehr, andere weniger eindeutig. Dass diese grundsätzliche Ähnlichkeit in der Art und Weise der Anordnung nachgewiesen werden konnte, ist laut den Forschern bemerkenswert.

Denn die Erwachsenen aus der Gruppe der Tsimane, die Vorschulkinder aus den USA und die Affen haben alle eins gemeinsam: es mangelt ihnen an Mathe- oder Lesetraining.

"Die Resultate decken sich mit anderen Forschungsergebnissen, die besagen, dass Affen auch andere Strukturen lernen können, die Teil der menschlichen Grammatik sind", so Piantadosi. 

Affen lernen Grammatik

Um Sprache richtig zu verarbeiten und zu interpretieren, müssen übergeordnete Grammatikstrukturen verstanden werden. Eine Fähigkeit, die in der Forschung hypothetisch nur Menschen zugesprochen wird.

Ein Experiment mit Pavianen zeigte allerdings, dass die Affen in der Lage waren, sogenannte kontextfreie grammatikalische Strukturen zu lernen. Diese folgen einem Spiegelprinzip, zum Beispiel AB/BA oder ABC/CBA.

Die Affen mussten auf einem Touchscreen einem bewegten Objekt folgen. Das Objekt bewegte sich entweder nach dem Spiegelprinzip oder dem kontextabhängigen Wiederholungsprinzip (AB/AB, ABC/ABC). Zwischendurch wurden mit Absicht Fehler in die Sequenzen eingebaut.

Ähnlicher als vermutet

Dabei stellten die Forscher fest, dass die Affen auf Fehler in der Spiegelsequenz aufmerksam wurden. Sie hatten also das zugrundeliegende Grammatik-Muster verinnerlicht. Auf Fehler in den Wiederholungssequenzen reagierten die Affen jedoch nicht.

Wiederholungssequenzen sind Teil der kontextabhängigen Grammatik. Diese zu verstehen erfordert eine größere Denkkapazität.

Die Ergebnisse zeigen also, dass sowohl Rekursion als auch die Verarbeitung komplexer grammatikalischer Strukturen zwar deutlich stärker in der menschlichen Denkweise verankert sind, Affen jedoch ebenfalls in der Lage sind, beides zu erlernen. Die Fähigkeiten sind also nicht so einzigartig menschlich wie bisher angenommen. 

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