AfD macht Schule
9. Oktober 2018In dem Moment, in dem sich Hunderte Schüler in Neuwied darauf vorbereiten, ein Zeichen zu setzen und nach den Ausschreitungen in Chemnitz auf die Straße zu gehen, hat Stefanie Müller (Name von der Redaktion geändert) klatschnasse Hände. Es ist Donnerstagnachmittag, 17 Uhr, nur noch wenige Stunden bis zum Sternmarsch am nächsten Morgen, und immer noch steht die ganze Veranstaltung auf der Kippe. "Dann kam zum Glück das Okay", erinnert sich die Neuwieder Pädagogin, "aber wenn die hauptverantwortliche Schule gesagt hätte, wir sind raus, dann wäre der Sternmarsch wahrscheinlich komplett ausgefallen."
Die Schüler ahnen nichts von der Debatte um die Veranstaltung, 2500 von ihnen setzen tags drauf ein Zeichen für Toleranz. Alle Schulen Neuwieds sind dabei, nur eine ist am Ende tatsächlich raus: die Heinrich-Heine-Realschule. Und damit ausgerechnet die Schule, in der Flüchtlingsklassen unterrichtet werden.
Wie "unparteilich" kann ein Sternmarsch sein?
Was war passiert? Schüler und Lehrer in Neuwied hatten vorgeschlagen, nach den ausländerfeindlichen Vorfällen in Chemnitz einen Sternmarsch zu organisieren - mit allen Schulen. "Doch einige Tage vorher haben sich wohl einige Eltern bei den Schulen und der Schulaufsichtsbehörde ADD beschwert. Sie sagten, so etwas solle im Unterricht stattfinden und sei überhaupt viel zu politisch", so Stefanie Müller. Sorge um den Lernstoff oder wollen einige Eltern nicht, dass Stimmung gegen die rechtspopulistische AfD gemacht wird?
Die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Rheinland-Pfalz, kurz ADD, welche die Verantwortung für 1600 Schulen im Bundesland trägt, setzt sich jedenfalls daraufhin mit den Schuldirektoren in Verbindung. Und erinnert sie daran, dass Schulen dem Auftrag zur politischen Ausgewogenheit verpflichtet sind. Wie, schreibt die ADD auf Anfrage der DW: "Die Veranstaltung muss 'unparteilich‘ gestaltet werden. Es ist dafür Sorge zu tragen, dass etwaig mitgeführte Plakate, Banner usw. keine einseitige politische oder parteipolitische Haltung zum Ausdruck bringen dürfen."
Eine Demonstration, die nicht Demonstration heißen darf
Mit anderen Worten: Plakate gegen Rassismus ja, Banner gegen die AfD nein. "Der Sternmarsch durfte deswegen auch nicht mehr Demonstration genannt werden", so Müller. Unter den Lehrern und Pädagogen geht die Diskussion herum wie ein Lauffeuer: "Da war ziemlich großes Entsetzen und auch eine große Verunsicherung. Weil man nicht mehr genau weiß, was man sagen darf und was nicht."
Trotzdem entschließen sich fast alle Schulen am Ende, am Sternmarsch teilzunehmen. Allerdings mit Auflagen, die es so früher nicht gegeben hat: "Ein Schüler musste zum Beispiel sein Plakat abgeben, auf dem stand: 'Gegen Homophobie und Rassismus'. Das war dann zu politisch." Alle Plakate hätten extrem neutral gehalten werden müssen. "Ich fand das ganze Hin und Her unfassbar", lautet Müllers Fazit.
Balanceakt für die Schulaufsichtsbehörde
Auch die Pädagogin Petra Keller (Name von der Redaktion geändert) kann so einiges rund um den Sternmarsch nicht nachvollziehen. "Es ist schade, dass die Heinrich-Heine-Realschule nicht mit dabei war. Das war ein falsches Signal für die Flüchtlinge, die dort zur Schule gehen." Die ADD nimmt Keller aber in Schutz.
"Die Landesregierung muss immer auch die Sicherheit der Schüler im Auge haben. Und da hatte man wahrscheinlich auch Angst, dass es vielleicht eine rechte Gegendemo und Krawalle zwischen den Gruppen gibt." Eine kritische Frage müsse sich die ADD trotzdem gefallen lassen: "Warum hat die Aufsichtsbehörde ein Problem damit, dass sich Schulen um ihren im Schulgesetz festgeschriebenen Auftrag kümmern, demokratische Werte zu vermitteln?"
"Wir laufen nicht gegen etwas, sondern für etwas"
Am Ende hätten die Jugendlichen sowieso die richtige Antwort auf alles gegeben, meint Keller. "Es war eine großartige Veranstaltung mit einer tollen Atmosphäre, weil die Schüler gesagt haben, wir laufen nicht gegen etwas, sondern für etwas." Also für Toleranz, für Vielfalt, für Menschenrechte. "In keiner Rede ging es um Ausgrenzung, ein muslimisches Mädchen hat in einem Poetry Slam sogar in Richtung Chemnitz gesagt: 'Ich reiche Euch die Hand!'"
Für Petra Keller bleibt am Ende, dass sich die Schulen wieder mehr um politische Bildung kümmern, ihren Auftrag zur Demokratieerziehung wahrnehmen müssen. "Wenn es zum Beispiel um Menschenrechte oder die Vermittlung anderer demokratischer Grundwerte geht, dürfen sie nicht neutral sein. Da müssen die Schulen viel stärker werden, denn das ist etwas, was in den letzten Jahren schlichtweg zu kurz gekommen ist."
AfD hat andere Sicht auf den Schulalltag
Alexander Wolf indes würde gerne vermittelt sehen, dass die Schulen Orte politischer Neutralität sind. "Gerade in Hamburg haben wir immer wieder Rückmeldungen bekommen, dass unsachlich Stimmung gegen die AfD gemacht wird", sagt der schulpolitische Sprecher und stellvertretende Vorsitzende der AfD in Hamburg. Für Wolf sieht der Schulalltag naturgemäß so aus: "Viele Schüler trauen sich im Unterricht nicht, zum Beispiel die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel zu kritisieren, weil sie dann von Lehrern oder Mitschülern als Nazis beschimpft werden."
Mit der "Aktion Neutrale Schule" will die AfD das in Hamburg ändern, eine Internet-Plattform ermöglicht es Schülern und Eltern jetzt, AfD-kritische Lehrer zu melden. Zur Not auch anonym: "Wenn ein Schüler sagt, bitte veröffentlicht meinen Namen nicht, weil er dadurch Nachteile fürchtet, dann akzeptieren wir das." Und auch das Verhalten der Mitschüler soll im Netz Platz finden können, findet Wolf: "Viele Schüler in Hamburg stören sich zum Beispiel daran, dass muslimische Mitschüler demonstrativ beten."
Große Verunsicherung bei deutschen Lehrern
Für Hans-Peter Meidinger, den Präsidenten des Deutschen Lehrerverbandes, erinnert dies an schlimme Zeiten der deutschen Geschichte: "Das ist ein Aufruf zur Denunziation. Ungeprüfte Anschuldigungen gegen Lehrer verstoßen nicht nur gegen den Datenschutz, sondern auch gegen das Vertrauensverhältnis im Klassenzimmer." Ilka Hoffmann von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, GEW, sieht die Plattform ähnlich kritisch: "Das Vorgehen der AfD ist höchst totalitär."
Die satirische heute-Show wählte einen eigenen Weg, um das Beschwerdeportal aufs Korn zu nehmen – und forderte dazu auf, sie mit ironischen und bissigen Kommentaren zu überfluten. Ein klassisches Eigentor also? "Keinesfalls", sagt Wolf, "wir haben eine wichtige Debatte angestoßen." Ähnliche Plattformen sind nun auch in anderen Bundesländern geplant.
Tatsächlich scheint die AfD mit solchen Initiativen ihr Ziel zu erreichen, Einfluss auf die Schulpolitik zu nehmen. "Ich merke das unmittelbar", bestätigt der AfD-Experte Olaf Sundermeyer, "manche Schulleiter haben regelrecht Angst, Fehler zu machen." Der Journalist hält Vorträge an deutschen Schulen zum Thema Rechtsextremismus und bildet Lehrer zum Thema Rechtspopulismus fort. "Was mich erschreckt, ist die jüngste Verunsicherung an deutschen Schulen, wie man mit der AfD umgehen soll." Dabei sei die Strategie der Rechtspopulisten denkbar einfach: "Das Prinzip heißt Einschüchterung. Und das wirkt!"