"Manchmal muss ich weinen, wenn ich meine Arbeit mache"
10. Mai 2016Die US-Amerikaniern ist freie Fotografin, die in Nairobi, Kenia lebt. Seit 2010 berichtet sie überwiegend aus Afrika, vor allem über den Konflikt zwischen dem Sudan und Südsudan sowie Darfur. Ihre Arbeiten erscheinen bei Al Jazeera, Wall Street Journal, National Geographic und im Time Magazine. Der Preis ist nach der renommierten Kriegsfotografin Anja Niedringhaus benannt, die im April 2014 in Afghanistan erschossen wurde. Die Preisverleihung findet am 9. Juni in Washington statt.
DW: Frau Ohanesian, Sie haben einen akademischen Abschluss in "Konfliktlösung". Was hat diese Ausbildung mit Ihrer Arbeit als Kriegsfotografin zu tun?
Adriane Ohanesian: Für meine Abschlussarbeit musste ich Fotografien anfertigen, das war Teil meiner Forschung. Darüber habe ich erfahren, dass eine Kamera mir dabei hilft, Menschen nahe zu kommen, in ihre Leben einzutauchen. So habe ich verstanden, dass Fotografieren eine Art Tor in die Leben anderer Menschen ist.
Wie können Fotografinnen und Fotografen dabei helfen, Konflikte zu lösen?
In vielen Regionen, in denen ich arbeite, ist es für die Menschen sehr schwer, Informationen nach draußen zu bekommen, besonders aus Darfur. Mit meiner Arbeit versuche ich einfach, das Beste zu geben, um den Menschen zu zeigen, was passiert. Dabei hoffe ich, dass diese Informationen die Menschen aufrütteln und sie dazu bewegen, etwas an den Umständen zu verändern, etwas zu tun. Ich hatte die Möglichkeit, Fotos Mitgliedern des UN Security Council oder des ICC zu zeigen. Und ich habe erlebt, dass diese Menschen, die ja einen gewissen Einfluss haben, wirklich an meiner Arbeit interessiert waren. Das ist dann natürlich eine ideale Situation.
Was ist der härteste Teil ihres Jobs?
Ich glaube, das Schwierigste ist es, immer wieder an Grenzen zu stoßen, die Einschränkungen zu erleben. Manchmal fühle ich mich sehr hilflos. Aber ich hoffe, dass meine Bilder irgendeine Form von Veränderung bewirken, dass sie den Menschen bewusst machen, was gerade passiert.
Die meisten Kriegsfotografen sind Männer. Wie ist es, eine Frau zu sein in einer solchen Umgebung?
Ich glaube, dort, wo ich arbeite, hat jeder seine Probleme, egal welchen Geschlechts. Ich habe aber oft das Gefühl, dass ich andere Dinge thematisieren kann als Männer – und umgekehrt. Es stimmt aber auch, dass beide Seiten versuchen, die Vorteile ihres Geschlechts so gut wie möglich auszunutzen. Also, manche Dinge können Frauen besser machen, manche Männer.
Wann hilft es, eine Frau zu sein? Können Sie ein Beispiel geben?
In Situationen, die sehr angespannt sind und die leicht eskalieren können, kann es helfen, eine Frau zu sein. Gerade wenn die Menschen eine negative Einstellung zu deinem Geschlecht haben, kann man das oft gut nutzen. Beispielsweise wenn Menschen mich weniger Angst einflößend finden, weil sie denken, ich sei schlechter ausgebildet. Ich mag es nicht, wenn ich bei meiner Arbeit zu viel Aufmerksamkeit bekomme. Deshalb ist es gar nicht schlecht, wenn die Menschen denken, ich sei weniger kompetent. Ich konnte in Somalia auch bei Geburten oder Operationen dabei sein, wo kein Mann hätte sein dürfen. Das gleiche gilt für Situationen, in denen ich mit Opfern sexueller Gewalt spreche. Es gibt also Vor- und Nachteile für jedes Geschlecht. Ich sehe es nicht als Belastung, eine Frau zu sein, einfach nur als eine Tatsache.
Sie erleben so viel Gewalt und traumatische Situationen. Wie gehen Sie damit um, wie beschützen Sie sich mental?
Ich glaube, ich bin ganz gut in der Lage, Dinge zu verarbeiten. Aber natürlich haben diese Erlebnisse einen Einfluss auf mich. Ich musste weinen, als ich fotografierte, wie ein Kind starb. In solchen Momenten steigen mir die Tränen in die Augen. Oder als ich herausgefunden habe, dass eine der Städte in Darfur, in denen ich erst kürzlich gewesen war, in die Hände staatlichen Milizen fiel, das hat mich total fertig gemacht. Natürlich macht all das etwas mit mir. Aber ich versuche dann einfach, meine Arbeit weiter zu machen. Ich hoffe, dass es mich nicht so sehr mitnimmt, dass ich irgendwann nicht mehr arbeiten kann. Es hilft mir immer, ab und zu mal frei zu machen und mich von all den Dingen für eine Zeit zu distanzieren.
Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung mit dem Anja-Niedringhaus-Preis?
Es ist eine großartige Anerkennung. Ich habe nicht annähernd so viel Erfahrung wie Frauen wie Anja Niedringhaus. Ich habe zu diesen Kolleginnen und Kollegen heraufgeschaut und gehofft, dass meine Arbeit irgendwann ähnlich wichtig sein wird. Es ist auch ein tolles Gefühl, weil ich normalerweise nicht so viel über meine Arbeit nachdenke. Ich mag es, einfach zu arbeiten. Entsprechend schön ist es zu merken, dass meine harte Arbeit - vor allem die in Darfur - wertgeschätzt wird.