Abschied von Günter Grass
10. Mai 2015
Günter Grass hatte sich ausdrücklich gewünscht, dass es keine "Trauerfeier" für ihn geben solle. Darum luden das Günter-Grass-Haus und der Steidl-Verlag am Sonntag zur Gedenkfeier für den Schriftsteller, Zeichner und Bildhauer ein, und zahlreiche Freunde und Wegbegleiter folgten dem Aufruf. Unter den Gästen fanden sich Bundespräsident Joachim Gauck, der Präsident der Akademie der Künste, Klaus Staeck, und die Autoren Adolf Muschg und Christoph Hein sowie mehrere SPD-Politiker, darunter die NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig und der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, der über Grass sagte: "Er hat mir manchen guten Rat gegeben. Und nicht zuletzt sind mir seine politischen Kommentare in Erinnerung: klar und kontrovers, aber es brachte einen weiter."
"Kritisches Korrektiv"
Für Grass, der zeitlebens der SPD nahestand, müsse es wie eine Ironie des Schicksals klingen, dass sie als CDU-Politikerin eine Rede über ihn halte, sagte Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Aber er stehe mit seinem Lebenswerk und seiner Verwegenheit, ja, auch mit seinen manchmal wütenden Übertreibungen für die Freiheit der Kunst, die zu verteidigen ihr ein Anliegen sei. Grass habe sich an der Geschichte abgemüht und sei immer ein "kritisches Korrektiv der demokratischen Republik" gewesen; allein mit dem Wort habe er das Feld der Demokratie bestellt.
Auch der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig betonte Grass' wichtige Rolle in der Bundesrepublik: "Er wird fehlen, ebenso als Schreiber wie als Störenfried." Grass habe die deutsche Literatur revolutioniert. so Albig weiter. Für die Bundesrepublik sei es enorm wichtig gewesen, dass einer wie er sich vor sie gestellt habe.
Mit der "Blechtrommel" auf Mädchenjagd
Die Rede des 73-jährigen US-Schriftstellers John Irving (Artikelbild), der mit Romanen wie "Garp und wie er die Welt sah" oder "Owen Meany" berühmt wurde, war die Rede eines guten Freundes, persönlich und warmherzig. Als junger Student in Wien habe er immer ein Exemplar von "Die Blechtrommel" mit sich herumgetragen, sagte John Irving, das habe Eindruck auf die Mädchen gemacht. Leider habe ihn auch seine Vermieterin mit dem Buch gesehen und skeptisch fixiert. Die Dame habe er eigentlich nicht näher kennenlernen wollen. Auf seine Frage "Mögen sie Grass nicht?", antwortete sie: "Ja mei, der ist a bisserl unhöflich."
"Sei wieder zornig"
Ein bisschen? Der Autor musste lächeln bei diesen Worten. Höflichkeit und Zurückhaltung war nicht Sache von Günter Grass. In den 1980ern habe Günter ihm gesagt: "John, ich mache mir Sorgen; du wirkst nicht mehr so zornig wie früher." Seitdem, so Irving, bemühe er sich, wieder zornig zu sein. Günter habe ihn und seine Zeitgenossen kritisch gesehen, sie gingen entweder kaputt oder kein Risiko mehr ein. "Verzeihen Sie, wenn ich sage, dass Günter auch Sie kritisierte", wendete sich John Irving ans Publikum - und das nickt. So mancher im Saal hat sich in früheren Tagen schon mit Günter Grass angelegt - und ihn doch immer auch respektiert.
Irving hob nicht nur die aufbrausende Seitevon Grass hervor, sondern auch das künstlerische Genie seines Freundes und literarischen Vorbilds. "Es gibt keine Schriftsteller mehr wie Günter Grass", sagte er: "Jedenfalls keinen, der Wahlkampfreden für Willy Brandt schreiben könnte und einen Roman, der 1647 gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges spielt, und außerdem einen Roman, in dem nicht nur ein sprechender Fisch wegen Chauvinismus' vor Gericht steht, sondern auch die Geschichte der Ursprünge der Kartoffel in Preußen dargelegt wird."
Streiter für die deutsch-polnische Versöhnung
Auch der Stadtpräsident von Danzig, Pawel Adamowicz, war angereist, um sich von Günter Grass zu verabschieden. Danzig war Grass' Geburtsstadt, der er zeitlebens eng verbunden war. Adamowicz erinnerte an den Beitrag, den Grass zur deutsch-polnischen Versöhnung beigetragen hatte. Er habe "für unser gegenseitiges Verständnis mehr getan, als ganze Gruppierungen von Politikern auf beiden Seiten der Grenze. Langsam, aber konsequent, hat er die uns trennenden Klüfte zugeschüttet. Und schon dafür schulden ihm - die zwei Völker: das in polnischer und das in deutscher Sprache denkende Volk – eine ewige Dankbarkeit", so Adamowicz.
"Mich träumte, ich müsste Abschied nehmen"
Musikalische Darbietungen der "Cappella de la torre" und Gedichte aus der Feder des Verstorbenen rundeten die Gedenkfeier ab. Der Schauspieler Mario Adorf, der 1979 in der Verfilmung des Grass-Romans "Die Blechtrommel" eine Hauptrolle spielte, las "Kleckerburg" vor, das als Schlüssel zum Gesamtwerk von Günter Grass gilt. Helene Grass, eine Tochter des Schriftstellers trug "Mich träumte, ich müsste Abschied nehmen" vor, ein Lieblingsgedicht ihres Vaters, der am 13. April dieses Jahres im Alter von 87 Jahren in Lübeck gestorben war. Ende April war er im engsten Familienkreis in seinem langjährigen Wohnort Behlendorf im Kreis Herzogtum-Lauenburg beigesetzt worden.
Günter Grass war zeitlebens ein streitbarer Intellektueller, seine Bücher kennt man in aller Welt. 1999 erhielt er für sein umfassendes Werk den Literaturnobelpeis. Bis zu seinem Tod nahm Grass regen Anteil am politischen Geschehen in Deutschland.
suc/wl (dpa, ndr)