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Politik

Abschied vom Altkanzler

1. Juli 2017

Deutschland schaut an diesem Samstag nach Straßburg, erwartet die europäische Gedenkfeier für Helmut Kohl. "Er war ein Glücksfall für Deutschland", sagte Kanzlerin Merkel im Bundestag, "ein Glücksfall für Europa".

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Das Porträt von Helmut Kohl wirkt irgendwie sperrig im Rahmen der "Kanzlergalerie", die im Berliner Kanzleramt auf sieben Gemälden die bisherigen deutschen Regierungschefs zeigt. Das Werk des ostdeutschen Malers Albrecht Gehse, den Kohl selbst ausgewählt hatte, entstand vor 14 Jahren. Und doch wirkt es so, als zeige es den Alt-Kanzler in seinen letzten Lebensjahren. Der Mensch Helmut Kohl wurde seinem Bild immer ähnlicher. Und Angela Merkel, Frank-Walter Steinmeier, auch internationale Gäste setzten sich davor nieder, um ihre Gedanken im Kondolenzbuch zu hinterlassen.

Deutschland tat sich schwer in den ersten Tagen nach der Nachricht vom Tode des Altkanzlers. Da war die billig anmutende, verletzend wirkende Titelseite der linken "tageszeitung", die am Tag danach Kränze auf einem Sarg mit der Überschrift "Blühende Landschaften" - einem legendären Kohl-Wort - auf die Titel-Seite hob, auch wenn sich der Chefredakteur des Blattes, Georg Löwitsch, später dafür entschuldigte. Da verstörte viele das Vorgehen der Witwe Maike Richter-Kohl, losgelöst vom bewährten Berliner Apparat und ohne deutsche Politik ein europäisches Gedenken zu planen. Da bleibt für viele in der Politik die Erinnerung an den schwierigen Kohl seiner letzten Berliner Jahre und die ungeklärten Vorgänge seiner Spendenaffäre.

"Kanzler der Einheit"

Und doch setzte sich der Blick auf den "Kanzler der Einheit", den europäischen Ehrenbürger durch. Kohls aktive Zeit als Bundestagsabgeordneter begann 1976 in Bonn und endete 2002 im Berliner Reichstag. Im Mittelpunkt seiner 16 Jahre als Kanzler (1982 - 1998) stand der Mauerfall. Volker Kauder, seit 2005 Unions-Fraktionschef, erinnerte am Dienstag an den letzten Besuch Kohls in der Fraktion. Ein Besuch, "der uns alle, die dabei waren, emotional aufgewühlt hat. Vor allem ein Satz: Hier, so hat Helmut Kohl gesagt, in dieser Fraktion bin ich zuhause. Das hier ist meine Heimat."

Deutschland Totenmesse für Kohl in Berlin
Abschied von Helmut Kohl: Trauergottesdienst in der Berliner St. Hedwigs-KathedraleBild: picture-alliance/AP Photo/J. Macdougall

Kauder äußerte sich bei einer katholischen Trauermesse, die er selbst angeregt hatte und die - bei aller ernsten Schlichtheit der kirchlichen Feier - so etwas wie ein Berliner Ersatz-Staatsakt wurde. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war mit seiner Frau da, sein Vor-Vorgänger Christian Wulff, Bundestagspräsident Norbert Lammert, Kanzlerin Angela Merkel, rund zehn Bundesminister, hunderte Abgeordnete. "Helmut Kohl konnte polarisieren", sagte der Prediger in der Berliner Kathedrale, Prälat Karl Jüsten, und jeder wusste, was gemeint war: Viele politische Freundschaften hat Kohl im Streit beendet. Aber vor allem erinnerte Jüsten an die gesamte Lebensleistung.

Ein Wort bleibt

Ein Satz fiel zwei Mal im Bundestag in diesen Tagen. "Ein Glücksfall für Deutschland und für Europa", sagte Lammert am 22. Juni. "Helmut Kohl war ein Glücksfall für uns Deutsche, und er war ein Glücksfall für Europa", betonte Merkel eine Woche später. Das Wort bleibt.

Und die deutsche Kanzlerin holte die Erinnerung an Kohl (der die damals 36-jährige Ostdeutsche 1991 zur Bundesministerin für Frauen und Jugend machte) in die ganz aktuelle Gegenwart. "Helmut Kohl verstand, dass die Einheit Deutschlands in Frieden und Freiheit untrennbar mit der Einheit Europas in Frieden und Freiheit verbunden war. Und er hat sich um beide Ziele wie kaum ein anderer verdient gemacht."

G20 Gipfel Bundestag Angela Merkel
Angela Merkel: "Kohl war ein Glücksfall für Europa"Bild: Getty Images/J.MacDougall

Die deutlichste Würdigung aus der SPD formulierte Außenminister Sigmar Gabriel. Er nannte ihn einen "Leidenschaftseuropäer”: "Für die deutsche Außenpolitik in der Ära Kohl war die europäische Integration das, was das Konzept der Westbindung unter Konrad Adenauer und die Ostpolitik unter Willy Brandt war: bestimmendes Leitmotiv des politischen Handelns."

Eine Reihe von deutschen Politikern, nicht nur Bundespräsident und Kanzlerin, werden an diesem Samstag in Straßburg sein, noch einige mehr dann in Speyer. Merkel gab am Donnerstag den Kurs vor, dass die deutsche Politik den Straßburger Trauerakt als berechtigte Ehrung empfindet. Es sei "eindrucksvoll und sehr berührend", dass "erstmals in der europäischen Geschichte ein europäischer Trauerakt im Gedenken an einen großen europäischen Staatsmann stattfindet, an den Kanzler der Einheit und Ehrenbürger Europas". Das Wort wird das Gerangel der Familie um den Abschied überdauern.