Abhängig vom Internet
20. April 2015DW: Nach welchen Kriterien spricht man denn überhaupt von einer Internetsucht?
Dr. te Wildt: Allein aufgrund der Zeit, die Menschen im Internet verbringen, kann man eine Abhängigkeit nicht diagnostizieren, sondern vielmehr nimmt man Kriterien, die sich auch bei anderen Suchterkrankungen bewährt haben, und die immer zwei Bereiche abdecken. Erstens schaut man, gibt es ein Suchtverhalten mit einem Kontrollverlust, einer Dosissteigerung und Entzugserscheinungen, und zweitens, ist mindestens ein Lebensbereich negativ von der Abhängigkeit betroffen. Dazu gehören die Lebensbereiche soziales Leben, Arbeitsleben, bzw. Schule, Studium und der Umgang mit dem eigenen Körper, der ebenfalls beeinträchtigt sein kann.
DW: Viele Menschen gehen mit dem Internet um, ohne süchtig zu werden. Was muss also passieren, damit es zur Sucht kommt?
Dr. te Wildt. Ähnlich wie bei anderen Suchterkrankungen ist die bloße Existenz eines Suchtmittels natürlich nicht allein entscheidend, ob jemand eine Abhängigkeit entwickelt oder nicht. Da spielen noch andere Faktoren eine Rolle. Bei der Internetabhängigkeit wissen wir, dass besonders Menschen betroffen sind, die unter sozialen Ängsten leben, einsam sind, zurückgezogen leben oder eher zu Depressionen neigen. Neben diesen individuellen Faktoren spielen auch noch soziale Faktoren eine Rolle, d.h. es betrifft häufig Menschen, die aus irgendeinem Grund irgendwie nicht ankommen in der Gesellschaft oder in dem Umfeld, in dem sie leben oder auch Ausgrenzungserfahrung gemacht haben.
DW: Wie therapieren Sie Internetabhängige?
Dr. te Wildt: Bei der Behandlung kommt es erst einmal darauf an, dass man genau schaut, worin besteht die Abhängigkeit im Internet? Es sind in der Regel drei unterschiedliche Arten von Internetabhängigkeit, die wir identifizieren können, Onlinespiele, Cybersex und soziale Netzwerke. Hat man einen oder auch mehrere Bereiche identifiziert, wird versucht, die Betroffenen dafür zu gewinnen, diese Bereiche völlig zu meiden. In der Therapie, meistens eine ambulante Gruppentherapie nach einem verhaltenstherapeutischen Modell, geht es aber nicht nur darum zu schauen, was sie alles nicht mehr machen sollten, sondern vor allem auch, was sie statt dessen tun können. Die Betroffenen sind teilweise bis zu 16 Stunden im Internet, das manchmal über Monate oder Jahre. Wenn sie sich das von jetzt auf gleich abgewöhnen, dann müssen sie ja die neuen Spielräume mit Leben füllen und das ist ein ganz entscheidender Aspekt in der Therapie. Besonders für junge Leute ist es wichtig, soziale Kontakte neu zu aktivieren oder Sport zu treiben, und das Gefühl zu bekommen, von der Gesellschaft, in der sie leben wertgeschätzt zu werden.
DW: Wie können die Betroffenen den Ausstieg aus der Sucht schaffen?
Dr. te Wildt: Erst einmal läuft das natürlich auf freiwilliger Basis, und ganz das Internet zu meiden das geht gar nicht denn das brauchen wir ja auch im Alltag bzw. im beruflichen Alltag, sondern es geht darum, welche Bereiche im Internet möglichst zu meiden sind, denn die Rückfallquote ist relativ hoch, wie bei anderen Suchterkrankungen auch, und man kann wie bei der Alkoholsucht auch schon sagen, gerade bei der Cybersexsucht und der Onlinespielabhängigkeit, die die häufigsten Varianten der Internetabhängigkeit darstellen, dass man im besten Falle auf beides lebenslang verzichtet, denn, wer einmal davon abhängig geworden ist, der kann jederzeit, auch noch nach Jahren, einen Rückfall erleiden. Langzeitstudien fehlen diesbezüglich allerdings noch.
DW: Wie können wir Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene davor schützen internetsüchtig zu werden?
Dr. te Wildt: Jeder, der gefährdet ist, sollte sich überlegen, wie er die Zeit vor dem Computer sowohl inhaltlich als auch zeitlich begrenzen kann, und wie er sein Leben so gestalten kann, dass er widerstandsfähig wird gegenüber einer Abhängigkeit. Vor allem ist es wichtig, dass man das bei Kindern und Jugendlichen erreicht. Die müssen überhaupt erst einmal konkret in der realen Welt und auch im eigenen Körper ankommen, bevor sie zu viel und zu schnell vor dem Bildschirm sitzen sollten. Für alle gilt, sich Zeit-Räume zu schaffen, in denen Medien keine Rolle spielen. Einen Tag in der Woche ohne Internet zu sein oder auch eine ganze Weile lang sogenanntes Medienfasten zu betreiben. Jugendliche sollten bis zu einem bestimmten Alter gelernt haben, eigenverantwortlich mit den Digitalen Medien umzugehen. das wäre die beste Prävention. Zur Medienkompetenz gehört aber eben auch die Fähigkeit zur Medienabstinenz.
Privatdozent Dr. med Bert te Wildt ist Arzt und Psychotherapeut und arbeitet an der LWL-Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Ruhr-Universität Bochum
[email protected]
Das Interview führte Marita Brinkmann