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Aachener Friedenspreis an zwei Menschenrechtlerinnen aus der Türkei und aus Russland

2. September 2004

Moskauer Druck gegen "Soldatenmütter"

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Bonn, 1.9.2004, DW-RADIO/Russisch, DW-RADIO/Türkisch, Christiane Hoffmann, Vedat Acikgöz

Wie jedes Jahr seit 1988 wurde auch in diesem Jahr am 1. September der Aachener Friedenspreis vergeben. Zum ersten Mal ist kein deutscher Preisträger dabei. Der Preis wurde an die türkische Rechtsanwältin und Menschenrechtlerin Eren Keskin und an die "Sankt Petersburger Soldatenmütter" vergeben. Christiane Hoffmann und Vedat Acikgöz berichten von der Preisverleihung und stellen die Preisträger vor.

Es seien außergewöhnliche Frauen, die in diesem Jahr den Aachener Friedenspreis erhalten, sagte Ottmar Steinbicker, der Vorsitzende des Friedenspreis-Komitees. Zum ersten Mal gehe die Auszeichnung nur an ausländische Preisträgerinnen, die sich seit Jahren für Menschenrechte einsetzten:

"In beiden Fällen geht es uns um Menschenrechte. Wir haben beraten und die Auszeichnung ist sehr begründet. Sie steht für den Einsatz und das starke Engagement für Kriegsverweigerung der 'Sankt Petersburger Soldatenmütter'. Eren Keskin erhält die Auszeichnung wegen ihres Kampfes für Menscherechte in der Türkei."

Eren Keskin kann fast nichts mehr schockieren. Denn die 45-jährige zierliche Rechtsanwältin musste wegen ihres Einsatzes für die Menschenrechte und vor allem für missbrauchte Frauen in der Türkei schon vieles erleiden. Vor neun Jahren saß sie sogar im Gefängnis. Im vergangenen Jahr hatte sie Berufsverbot. Jetzt kann sie aber wieder für ihr Anliegen als Anwältin auch vor Gericht kämpfen. Eren Keskin ist die zweite Frau aus der Türkei, die den Aachener Friedenspreis erhalten hat. 1995 wurde die kurdische Politikerin Leyla Zana mit dem Preis geehrt. Kurz vor der Preiserklärung erklärte Keskin, dass es Menschenrechtler selten schaffen, einen so wichtigen Preis zu bekommen:

"Der Preis hat für mich einen großen ideellen Wert. Er zeigt, wie wichtig und erfolgreich unsere Arbeit ist. Mit dem Preis habe ich auch gesehen, dass mittlerweile wenigstens das Kurden-Problem oder die Vergewaltigungen von Frauen ans Tageslicht kommen. Deswegen ist dieser Preis sehr wichtig für mich, und außerdem schützen solche Preise Menschenrechtler gegen unterdrückende Systeme."

Die Preisträgerin ging mit der türkischen Regierung scharf ins Gericht. Nach außen hin sei die Türkei ein demokratisches Land, so Keskin. Doch im Innern sei sie eine Militärmacht. Nicht die Regierung, sondern das Militär habe das Sagen. Die Türkei werde immer noch mit einem Grundgesetz geführt, dass aus der Zeit des Militärputsches von 1980 stammt. Und auch die positiven Veränderungen im Zuge der türkischen Bemühungen, in die EU aufgenommen zu werden, sieht Keskin kritisch:

"Es gibt sehr geringe Veränderungen. Während man früher die Kurden leugnete, gibt es mittlerweile einmal wöchentlich, für eine halbe Stunde, kurdische Nachrichten im Fernsehen. Das sind aber keine tiefgründige, sondern sehr geringe Veränderungen. Und das alles wird für die EU gemacht. Nicht für die Bedürfnisse der Menschen."

Dass die Todesstrafe abgeschafft worden ist, sei auch eine positive Entwicklung, fügt sie hinzu. Doch Menschenrechtsverletzungen gebe es nicht nur in der Türkei, sondern auch in vielen europäischen Ländern, sagte Keskin:

"Ich sehe, dass auch oft in Europa Menschenrechte verletzt werden. Auch Rassismus ist ein Problem in Europa. Wir beschweren uns über die Isolation von Gefangenen in türkischen Gefängnissen, doch auch hier werden Gefangene in Isolationshaft gesteckt. Und außerdem haben die Europäer jahrelang Waffen an die Türkei verkauft. Auf der einen Seite sagen sie, das Kurden-Problem müsse gelöst werden, doch auf der anderen Seite hat die Türkei jahrelang einen Krieg im Kurdistan mit Waffen aus Europa geführt."

Wie Eren Keskin kritisierte auch Ella Poljakowa von der Organisation der "Sankt Petersburger Soldatenmütter" die Politik der EU. Die europäischen Staaten müssten sich stärker für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen.

Die Auszeichnung mit dem Aachener Friedenspreis bezeichnete die Russin als großes politisches Geschenk. Seit Anfang der 90er Jahre unterstützen die Soldatenmütter Wehrpflichtige und deren Familien im Kampf um ihre Rechte in der russischen Armee. Die Situation sei dramatisch, Folter, Prügel und Totschlag seien normal. Gesetzlich verankert sei zwar mittlerweile das Recht auf Zivildienst in Russland. Darüber, ob jemand einen Alternativdienst leisten darf, entscheide aber das Militär, so Elena Filonowa, ebenfalls von der Organisation der "Sankt Petersburger Soldatenmütter":

"Es ist so, dass das Gesetz über den Alternativdienst die internationalen Rechtsnormen eindeutig verletzt. Das Problem besteht darin, dass die Internationale Organisation für Arbeit (ILO) Zwangsarbeit verboten hat. Aber die Menschen, die alternativen Dienst ins Russland leisten, machen keinen gesellschaftlich nützlichen Dienst, sondern sie machen eine Arbeit, die dem Militär in den Kasernen nützt."

Mit dem Preis werde die Arbeit ihrer Organisation wesentlich gestärkt. Denn zur Zeit, so Poljakowa, gerate sie von mehreren Seiten unter Druck und internationale Stiftungen würden weniger Geld für Projekte zur Verfügung stellen:

"Die Stiftungen haben Angst, mit Russland zu streiten, das ist seltsam. Denn wir kritisieren die russische Regierung und das Verteidigungsministerium sehr stark, und gerade die Militärs versuchen im Moment, unsere Organisation zu schließen. Es heißt, dass unsere Organisation die Basis des Staates zerstöre, und auch Putin hat in einer Rede vor kurzem gesagt, es gebe Organisationen, die Russlands Image gefährden, und die müsse man schließen. (lr)