Ausgefallen: Kultmöbel von Peter Ghyczy
12. Februar 2018Peter Ghyczy hätte wohl nie gedacht, dass er eines Tages Möbeldesigner werden würde, erst recht nicht einer, der für sein ausgefallenes Design Berühmtheit erlangen würde. Sein "Gartenei", der erste aufklappbare Sessel aus Kunststoff, erinnert an eine futuristische Muschel oder an ein UFO. Das originelle Möbelstück, auch als "Senftenberger Ei" bezeichnet, wurde in der Kunstszene der späten 1990er Jahre zum Kultobjekt und zur meistgerühmten Kreation des heute 77-jährigen Designers.
Der Sessel, der dieses Jahr seinen 50. Geburtstag feiert, ist Teil der Sonderausstellung "Peter Ghyczy: 50 Jahre Funktionalismus", die seit 7. Februar im Design Museum in Brüssel gezeigt wird. Sie macht deutlich: das Gartenei ist nur einer der Gründe, warum der in Deutschland ausgebildete Designer im ausgehenden 20. Jahrhundert seine Spuren hinterlassen hat.
Inspiriert von der deutschen Designtradition
Das frühe 20. Jahrhundert war eine aufregende Zeit für das deutsche Design. Es begann 1907 mit der Gründung des deutschen Werkbundes, ein Kollektiv aus Künstlern, Designern, Architekten und Firmen, die das industrielle Design erneuern wollten. Inspiriert vom britischen "Arts and Crafts Movement" schuf der Werkbund Haushaltsartikel von hoher Qualität in attraktiven Formen.
Eine der wegweisenden Persönlichkeiten in der deutschen modernistischen Designbewegung war der Designer und Architekt Peter Behrens, der den Bauhausgründer Walter Gropius und die angehenden Vertreter der Moderne, Le Courbusier und Mies van der Rohe, unter seine Fittiche nahm.
Zu den wichtigsten Vertretern des Bauhauses zwischen 1919 und 1933 zählten auch der Möbeldesigner Marcel Breuer und die Künstler Wassily Kandinsky sowie Paul Klee. Durch die Kombination von Kunst und industriellem Design schuf das Bauhaus ein zeitloses modernes Architektur- und Produktdesign, aus dem auch Peter Ghyczy schöpfen konnte.
Pionier fantastischer Kunststoffe
Während der Ungarischen Revolution von 1956 war Ghyczy nach Deutschland geflohen. In Aachen studierte er Ingenieurwesen und Architektur. Schon als Student faszinierte ihn die reine Funktion von Gegenständen, die Form sollte sich der Funktion unterordnen. Der Leitsatz "Die Form folgt der Funktion" gilt für ihn bis heute. "Ich mag keine Illusionen", verriet er kürzlich der DW. "Was auch immer ich mache hat eine Struktur, die offensichtlich ist."
Nach seinem Studium bot ihm das Unternehmen Elastogran/Reuter eine Stelle als Leiter der Designabteilung. Gleich zu Beginn seiner Zeit bei Elastogran/Reuter von 1968 bis 1972 begann er Produkte aus einem aufregenden neuartigen Material, dem Kunststoff Polyurethan, zu designen.
Seine frühen Experimente mit Plastik als Werkstoff in Verbindung mit seiner funktionellen Herangehensweise führten ihn schließlich zu seinem berühmtesten Objekt, dem aufklappbaren "Gartenei" von 1968. Auch wenn er für die Form öffentlich gefeiert wurde, so war Ghyczys Motivation pragmatisch: Er wollte ganz einfach ein bequemes Sitzmöbel schaffen, das man auch im Regen unbesorgt draußen stehen lassen konnte. "Die meisten Leute waren enttäuscht darüber, dass es mir nicht um die Form ging, sondern um eine technische Lösung", erklärt er.
Grenzen überschreiten
Der Sessel wurde Teil der Geschichte des geteilten Deutschlands. Aufgrund der niedrigeren Produktionskosten entschied sich Reuter dazu, den Sessel in der damaligen DDR zu produzieren. Schließlich wurde die Lizenz zur Herstellung an eine Firma in Senftenberg bei Dresden verkauft. Das sogenannte "Senftenberg Ei" wurde in Massenproduktion sowohl für die DDR als auch für den westdeutschen Markt hergestellt.
Nach Angaben des Victoria & Albert Museums in London, wo der Sessel ausgestellt wird, konnte er in der DDR für sagenhafte 430 Mark erworben werden. Das entsprach fast dem durchschnittlichen Monatsgehalt eines Arbeiters. Als der Sessel in den 1990er Jahren zum Sammlerobjekt wurde, glaubten viele fälschlicherweise, dass das Design ursprünglich aus der DDR stammte. Während das Gartenei im Osten ein Hit blieb, wurde Plastik in den frühen 1970er Jahren im Westen aus Umweltschutzgründen geschmäht.
Peter Ghyczy zog 1972 in die Niederlande, wo er sein eigenes Unternehmen gründete. Dort werden jetzt von regionalen Künstlern Einzelstücke in geringer Stückzahl angefertigt. Auch für Ghyczy gehörten Plastikmöbel der Vergangenheit an. Sein pragmatischer Zugang zum Design ist jedoch ungebrochen.
Eine neue Botschaft
Viele von Ghyczys Designobjekten knüpfen an geometrische Formen von Bauhaus und Art Déco an. Dennoch lässt sich der Designer ungern auf spezifische Inspirationen oder direkte Verbindungen aus der Vergangenheit zurückführen. Schließlich sollten Designer nach vorne und nicht nach hinten schauen, bekräftigt er. Vielleicht hängt diese Einstellung auch mit seiner damaligen Flucht aus Ungarn zusammen. "Auswanderung ist auf der einen Seite tragisch, aber auf der anderen Seite verschafft sie einem einen Neubeginn", meint Ghyczy. "Eine Person, die geht, ist frei, eine neue Richtung zu wählen. Vielleicht ist das auch charakteristisch für meine Arbeit". Das könnte auch ein Grund dafür sein, warum seine Designs lange Zeit als "anders" empfunden wurden, bemerkt er.
Wie das Gartenei werden auch noch andere Stücke, die Ghyczy während der letzten fünf Jahrzehnte schuf, in der Brüsseler Ausstellung gefeiert. Die Ausstellung hebt besonders sein Engagement für Innovation hervor. "Im besten Falle stellen wir Produkte her, die zuvor noch nicht existierten", sagt Ghyczy. "Man sagt ja, dass man nur dann ein neues Buch schreiben sollte, wenn man auch eine neue Botschaft mitzuteilen hat. Das gleiche gilt auch für Design".