50 Jahre deutsche Entwicklungpolitik
3. Oktober 2011Ein halbes Jahrhundert deutsche Entwicklungszusammenarbeit sind dem Bundestag eine besondere Würdigung wert. Eineinhalb Stunden debattieren die Abgeordneten über ein im Wortsinne weltbewegendes Thema. Die Anfänge der bundesdeutschen Entwicklungspolitik reichen in das Jahr 1961 zurück, am 14. November des Jahres wurde Walter Scheel zum ersten Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit ernannt. Im selben Jahr errichtet der kommunistische Teil Deutschlands die Berliner Mauer. Die Supermächte USA und Sowjetunion versuchen ihren Einfluss in Asien und Afrika zu stärken.
Als die Welt noch aufgeteilt ist in ein kapitalistisches und ein sozialistisches Lager prägen zwei Männer die deutsche Politik mit, die sich auch 50 Jahre später der Entwicklungspolitik verbunden fühlen: Erhard Eppler und Egon Bahr, beide heute weit über 80, sitzen auf der Tribüne des Bundestages und folgen aufmerksam der Debatte. In den 1960er und 70er Jahren leiteten sie das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).
Entwicklungsminister Niebel bleibt stumm
Auf eine Rede des seit 2009 amtierenden Ministers Dirk Niebel warten die beiden Sozialdemokraten an diesem spätsommerlichen Tag in Berlin vergeblich. Der Freidemokrat hört aufmerksam zu, was Abgeordnete aller Fraktionen zu 50 Jahren deutscher Entwicklungszusammenarbeit und auch zu seiner Person zu sagen haben. Die Möglichkeit, seine durchaus umstrittene Politik zu erläutern, lässt Niebel ungenutzt. Stattdessen eröffnet Harald Leibrecht, entwicklungspolitischer Sprecher der FDP, die Aussprache.
Er erinnert daran, dass Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg selbst ein Empfängerland gewesen sei. Es habe sich nur mit Hilfe des von den USA initiierten Marshall-Plans wirtschaftlich rasant entwickeln und seine parlamentarische Demokratie festigen können. Mit Blick auf die gegenwärtig unterentwickelten Länder gelte das traditionelle Leitmotiv deutscher Politik "Hilfe zur Selbsthilfe". Letztendlich müsse und könne sich ein Land nur aus eigener Kraft entwickeln, sagt Leibrecht. "Wir können aber die notwendigen Werkzeuge bereitstellen." In erster Linie sei das Geld, aber auch Experten und Wissens-Transfer gehörten dazu.
Kritik von Amtvorgängerin Wieczorek-Zeul
Als eine der weltweit wichtigsten Wirtschaftsnationen trage Deutschland eine besondere Verantwortung, die Schwächsten der Welt auf ihrem Weg aus der Armut zu unterstützen, betont der Freidemokrat. Eine Position, die vom gesamten Bundestag geteilt wird. Allerdings wähnt die von 1998 bis 2009 amtierende Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul ihren Nachfolger Dirk Niebel auf einem zumindest teilweise falschen Weg. Sie wirft ihm vor, mehr deutschen Wirtschaftsinteressen zu dienen als den notleidenden Menschen insbesondere in Afrika.
"Wir dürfen den Lauf der Welt nicht der ungebremsten Ökonomie und der Gewalt der Finanzmärkte überlassen", empört sich Wieczorek-Zeul unter Berufung auf den Friedensnobelpreisträger von 1971, Willy Brandt. Dessen Verständnis von Entwicklungspolitik sei es gewesen, die Menschheit von Abhängigkeit, Unterdrückung, von Hunger und Not zu befreien. "Neue Bande müssen geknüpft werden, welche die Aussicht für Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität für alle entscheidend verbessern", zitiert die Ex-Ministerin den von 1969 bis 1974 amtierenden Bundeskanzler.
Viele berufen sich auf Willy Brandt
Brandt war eine zentrale Figur in der Entspannungspolitik zwischen Ost und West. Davon sollten auch die Länder des Südens profitieren. Spürbare Erfolge blieben global betrachtet allerdings zunächst aus. Sichtbare wirtschaftliche Fortschritte setzten erst in den 1980er Jahren ein, der Boom in Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien noch viel später.
Aus Sicht des erfahrenen Entwicklungspolitikers Christian Ruck von den regierenden Konservativen (CDU/CSU) steht die Welt und steht Deutschland im 21. Jahrhundert vor ganz neuen Herausforderungen, die sich auf die Art der Hilfe auswirken. Dazu zählt Ruck den Anti-Terror-Kampf und das deutsche Engagement im Afghanistan-Krieg. Deswegen sei Entwicklungszusammenarbeit inzwischen nicht nur eine humanitäre Angelegenheit, "sondern notwendige politische Einflussnahme zur Abwendung von Gefahren und zum Nützen von Chancen für unser Land", umreißt Ruck seine Haltung.
Lob und Tadel von den Grünen
Heike Hänsel von den oppositionellen Linken lehnt die Kursänderung der deutschen Entwicklungspolitik grundsätzlich ab und hält auch den Sozialdemokraten vor, sich von ihren früheren Überzeugungen verabschiedet zu haben. Willy Brandts Vision, Entwicklungspolitik sei die beste Friedenspolitik, bleibe eine große Herausforderung. "Leider hat die SPD mit der Beteiligung am Afghanistan-Krieg von dieser Vision weit entfernt", bedauert Hänsel.
Eine gemischte Bilanz zieht Thilo Hoppe von der grünen Umweltpartei. Dass der amtierende Minister Dirk Niebel mehrere Durchführungsorganisationen in der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) zusammengefasst hat, sei ein großer Erfolg. Ansonsten halten sich mit Blick auf den Minister Lob und Tadel die Waage. Niebel betone nicht nur das Business, sondern auch das Humanitäre und die Menschenrechte. Insgesamt aber verschiebe seine Politik die Ziel- und Schwerpunktsetzung so sehr in Richtung Wirtschaftsförderung, "dass man eher von einer interessen- als von einer wertegeleiteten Entwicklungspolitik sprechen kann", bemängelt Hoppe.
Mehrheit des Parlaments für 0,7-Prozent-Ziel
50 Jahre deutsche Entwicklungszusammenarbeit sind eben auch vor dem Hintergrund von 50 Jahre wechselnden politischen Mehrheiten im eigenen Land zu sehen. Trotz aller Gegensätze gab und gibt es dabei gute wie schlechte Gemeinsamkeiten. So ist es keiner Regierung auch nur annähernd gelungen, das bereits in den 1970er Jahren formulierte Ziel zu erreichen, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen. Um daran etwas zu ändern, haben inzwischen mehr als 360 Abgeordnete aus allen Fraktionen (und damit die Mehrheit aller Abgeordneten des Parlaments) einen Appell unterschrieben, dieses Ziel endlich umzusetzen. Und so viel Gemeinsamkeit in der Sache ist in der deutschen Politik eher selten.
Autor: Marcel Fürstenau
Redaktion: Hartmut Lüning