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45 Minuten Mittelstand

Sabine Kinkartz, Berlin16. März 2016

Kabinettsitzung, Regierungserklärung im Bundestag, am Abend noch streitbarer Besuch aus München: eigentlich hätte die Kanzlerin dem Industrie- und Handelskammertag absagen müssen. Aber das wollte sie nicht.

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Angela Merkel auf der Vollversammlung der DIHK in Berlin
Bild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Angela Merkel hat im Moment keinen guten Lauf. In der EU will der Widerstand gegen ihre europäische Lösung in der Flüchtlingskrise nicht weichen, zuhause muss die CDU-Vorsitzende mit den Wahlschlappen in drei Bundesländern fertig werden. Auf der Vollversammlung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags ist davon wenig zu spüren. Im Gegenteil. "Ich möchte Ihnen danken, dass sie die europäische Lösung anstreben und das so vehement vertreten", sagt ein Unternehmer aus Freiburg. "Da stehen wir alle hinter ihnen", fügt er unter allgemeinem Applaus noch hinzu.

Die Wirtschaft fürchtet um das schrankenlose Europa. Merkel weiß das und betont ihren Einsatz für den freien Binnenmarkt, den "Mehrwert der Europäischen Union", wie sie sagt. "Länder mit einer gemeinsamen Währung, die zum Schluss wieder Schlagbäume zwischen sich aufrichten würden, das wäre auf Dauer eine sehr fragile Angelegenheit."

Deutschland Job für Flüchtlinge
Viele Flüchtlinge kommen für eine berufliche Ausbildung in FrageBild: picture alliance/dpa/S. Hoppe

Ausbildung und Integration

15 Minuten redet die Bundeskanzlerin vor den Delegierten. Schnell ist sie beim Thema Integration. "Da möchte ich mich bei der Wirtschaft bedanken, die ihren Beitrag leisten möchte." Am Morgen habe man im Kabinett darüber gesprochen. "Die Beiträge sind noch, möchte ich mal sagen, sehr punktuell und noch nicht so geordnet, wie wir das vielleicht noch machen müssen." Aber schließlich stehe man ja noch am Anfang.

Gut sieben Prozent der deutschen Unternehmen beschäftigen einer Studie zufolge Flüchtlinge oder haben dies in den vergangenen fünf Jahren bereits getan. Weitere knapp elf Prozent haben es konkret vor, das geht aus einer Umfrage von IW Consult - einer Tochter des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) - unter 900 Geschäftsführern aus Industrie- und Dienstleistungsfirmen hervor. Einer Einstellung stehen vor allem fehlende Deutsch-Kenntnisse im Weg: Gut drei Viertel der Firmenchefs sehen darin ein großes Hemmnis, eine zu geringe fachliche Qualifikationen gilt für 60 Prozent als Hürde.

Das wirft Fragen auf, auch für die Kanzlerin. "Was bedeutet das für die Ausbildungsgänge, muss man andere modulare Ausbildungen anbieten, was bedeutet das für die Art der Sprachausbildung, die wir brauchen?" Eine Frage sei auch, wie man Menschen überzeugen könne, eine berufliche Ausbildung zu machen, wenn sich in deren Augen doch mit einfachen Arbeiten erst einmal mehr Geld verdienen ließe.

Konjunktur und Niedrigzinsen

Auch über das Wirtschaftswachstum spricht die Kanzlerin und warnt vor Euphorie. "Das Wirtschaftswachstum ist nicht schlecht, aber auch nicht überragend gut."

Angesichts der Tatsache, dass der Ölpreis historisch niedrig sei und die Europäische Zentralbank (EZB) eine Politik mache, um Investitionen anzuregen, müsse das Wirtschaftswachstum eigentlich eher größer sein, so Merkel. "Wir können die Situation nehmen wie sie ist, sie kann uns nicht total beruhigen."

Die Unternehmer hätten gerne, dass Merkel deutlicher wird. Was sagt sie zur Geld- und Zinspolitik der EZB? "Ist es nicht so, als treibe man eine Kuh mit einer Peitsche nach vorne auf einen Elektrozaun zu?", meldet sich ein Unternehmer in der auf die Rede folgenden Fragerunde zu Wort. Die Kanzlerin muss passen und weist auf die Unabhängigkeit der EZB hin. Dazu habe sie als Politikerin nichts zu sagen. Nur so viel: "Mir sind alle negativen Effekte sehr bewusst."

Erbschaftssteuer und Freihandel

"Ist die CDU daran interessiert, mittelständische Unternehmer zu unterstützen?", wird Merkel noch gefragt. Man habe die Mütterrente, die Rente mit 63 "einstecken" müssen. Zudem werde nicht genug für die Infrastruktur getan. Und dann sei da noch das Thema Erbschaftssteuer, über das sich CDU, CSU und SPD seit langem streiten. Bis Ende Juni muss die Bundesregierung neue Regeln für die Besteuerung von Firmenerben aufsetzen, nachdem das Bundesverfassungsgericht die bisherigen Privilegien für Unternehmenserben als zu weitgehend gekippt und schärfere Vorgaben angemahnt hat. "Jetzt kommt es wirklich darauf an, dass wir eine Lösung finden, bevor es zu spät ist", sagt Angela Merkel und lässt bei den Zuhörern Hoffnung aufkeimen.

Deutschland Merkel und Schneider-Ammann zu Besuch auf der CeBIT Hannover 2016
Der Mittelstand darf die Digitalisierung nicht verschlafen - auch davor warnt die KanzlerinBild: Getty Images/AFP/J. MacDougall

Das gilt auch für das Thema Freihandel. Bei den Verhandlungen über das TTIP-Abkommen zwischen der EU und den USA setzt die Kanzlerin auf eine Grundsatzeinigung noch in diesem Jahr. Im April wird US-Präsident Barack Obama auf der Hannover-Messe erwartet und eine große Wirtschaftsdelegation dabei haben. Eine Gelegenheit, um "wesentliche Grundzüge" hinzubekommen? Die Kanzlerin hofft das, schon allein mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen in den USA: "Was man hat, hat man", sagt sie und die Unternehmer lachen.

Dann sind die 45 Minuten vorbei, die die Bundeskanzlerin für den Besuch beim DIHK erübrigen konnte. "Es bleibt viel zu tun", sagt sie, bevor sie geht und zum nächsten Termin eilt. Die Unternehmer blicken ihr nach. "Sie erinnert an einen Feuerwehrmann", sagt einer und es hört sich fast ein bisschen mitleidig an.