45. Berliner CSD beschwört "Empathie und Solidarität"
22. Juli 2023Hunderttausende Menschen haben in Berlin ein lautstarkes und farbenfrohes Zeichen für Toleranz und geschlechtliche Vielfalt gesetzt. Die traditionsreiche Kundgebung zum Christopher Street Day (CSD) verwandelte das Zentrum der Bundeshauptstadt in eine Partyzone für Schwule, Lesben und andere queere Menschen. Verbunden war die Feier mit politischen Forderungen zum Einsatz für eine offene Gesellschaft und gegen Hass und Ausgrenzung.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) wies in ihrer Begrüßungsansprache zum mittlerweile 45. Christopher Street Day in Berlin darauf hin, dass die Diskriminierung in Deutschland derzeit wieder zunehme. "Dagegen müssen wir uns alle wehren und auch gemeinsam dagegen aufstehen und Haltung zeigen", forderte Bas. Berlins Bürgermeister Kai Wegner (CDU) sagte in seiner Ansprache: "Berlin ist die Stadt der Vielfalt." Er kündigte an, dass sich das Land Berlin unter seiner Führung dafür einsetzen wird, ein Verbot der Diskriminierung wegen sexueller Identität ins Grundgesetz aufzunehmen. Die Rede des Christdemokraten ging allerdings zeitweise in lauten Buh-Rufen unter.
Schätzungen zur Zahl der Teilnehmenden wollten Polizei und Veranstalter zunächst nicht abgeben. Die Veranstalter hatten im Vorfeld mit etwa 500.000 Teilnehmern gerechnet - deutlich mehr als im vergangenen Jahr, als rund 350.000 Menschen beim Berliner CSD mitmachten. Die Kundgebung steht in diesem Jahr unter dem Motto "Be their voice and ours - für mehr Empathie und Solidarität". Die Veranstalter wollen den CSD ausdrücklich als politische Kundgebung verstanden wissen. "Unser Forderungskatalog wird seinen Weg finden, die Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft kommt nicht daran vorbei - wir sind hier nicht zum Spaß", erklärte Patrick Ehrhardt, Vorstandsmitglied im Berliner CSD e.V..
"Liebe ist für alle da!"
Am Vormittag bereits hatte Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) vor dem Bundeskanzleramt die Regenbogenflagge aufgezogen, das internationale Symbol der Schwulen- und Lesbenbewegung. Auch auf dem Reichstagsgebäude, dem Sitz des Bundestags, wehte sie. Die Flagge sei auch "Auftrag, dass politisch noch einiges für mehr Gleichberechtigung und Anti-Diskriminierung zu tun ist", schrieb Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) auf Twitter - und fügte hinzu: "Liebe ist für alle da!". Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wünschte den Teilnehmern per Twitter eine fröhliche Feier. "Vielfalt ist unsere Stärke", schrieb er.
Unterstützung für die Parade kam von allen Bundestagsfraktionen mit Ausnahme der AfD. Der AfD-Abgeordnete Martin Reichardt kritisierte das Hissen der Regenbogenflagge über dem Reichstag. Die Flagge stehe "dafür, dass wir alten Männern in Röcken nicht mehr sagen dürfen, dass sie keine Frauen sind", schrieb Reichardt auf Twitter.
Ukraine mit Botschafter und Wagen vertreten
Auf der Kundgebung waren auch in diesem Jahr viele ukrainische Flaggen zu sehen. Die ukrainische Botschaft war mit einem eigenen Wagen vertreten, von dem aus Botschafter Oleksii Makeiev zu den Teilnehmenden sprach. Die Werte, die auf dem CSD zelebriert würden, seien zugleich jene Werte, "die wir gleichzeitig in der Ukraine verteidigen", schrieb er auf Twitter.
Jenseits der politischen Forderungen bot der CSD - bei nicht zu heißem Wetter - auch in diesem Jahr wieder eine Bühne für viel Extravaganz: Sakkos und Krawatten in Regenbogenfarben, weiße Turbane, Frisuren mit ausladendem Blumenschmuck, Glitzer-Hosen, Fetisch-Outfits, Stöckelschuhe - und natürlich viel nackte Haut. Ein Teilnehmer lief gar verkleidet als Löwin von Kleinmachnow durch die Straßen. Die Berliner Polizei sicherte den Zug mit rund tausend Einsatzkräften. Zum Abschluss war ein umfangreiches Bühnenprogramm bis in die späten Abendstunden am Brandenburger Tor geplant.
Die Kundgebung erinnert an den 28. Juni 1969, als die Polizei die Schwulenbar Stonewall Inn in der New Yorker Christopher Street stürmte, worauf tagelange Zusammenstöße zwischen Aktivisten und Sicherheitskräften folgten. Der Aufstand gilt als Geburtsstunde der modernen Schwulen- und Lesbenbewegung.
sti/kle (afp, dpa, epd)