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100 Jahre ANC – (k)ein Grund zum Feiern

8. Januar 2012

Der "Afrikanische Nationalkongress" (ANC) feiert seinen 100. Geburtstag. Der Übergang von einer Befreiungsorganisation zur Regierungspartei ist nur teilweise gelungen. Wofür steht der ANC heute?

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ANC-Wähler in Pretoria (Foto: EPA)
Grund zum Jubeln? ANC-Anhänger in PretoriaBild: picture-alliance/dpa

Geht es nach Südafrikas bekanntestem Comiczeichner, dann stehen die Buchstaben ANC schon längst nicht mehr für "Afrikanischer Nationalkongress". In einem Cartoon von April 2010 buchstabiert der Kolumnist Zapiro die Regierungspartei stattdessen so: Accumulation, Nepotism, Cronyism, also Anhäufung, Vettern- und Günstlingswirtschaft. Seine Zeichnung zieren als Hyänen verkleidete ANC-Parteikader, die mit Geldscheinen um sich werfen.

Ein besseres Leben für wen?

Township bei Kapstadt (Foto: Alexander Goebel)
Wohnungsnot: Township bei KapstadtBild: Alexander Goebel

Wenig scheint geblieben vom Slogan "A better life for all". Dieses Wahlversprechen gab der ANC den Südafrikanern beim ersten demokratischen Urnengang 1994, als man die Apartheid-Partei National Party (NP) aus dem Amt fegte. "Ein besseres Leben" haben jedoch nur jene etwa drei Millionen Südafrikaner geerntet, die heute die schwarze Mittelschicht ausmachen. Dagegen verharren in Afrikas wirtschaftlichem Kraftwerk 40 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze von etwas mehr als 50 Euro im Monat. Dass ANC-Freiheitskämpfer wie Tokyo Sexwale oder Cyril Ramaphosa Wirtschaftsimperien mit Minenkonzessionen und McDonald's-Lizenzen aufbauen konnten, steht in krassem Widerspruch zu den Lebensentwürfen der verarmten Massen in Slums wie Alexandria außerhalb von Johannesburg.

"For members only"

Längst gilt die Maxime, wonach in Südafrika nur der wirtschaftlich vorankommt, der einen Mitgliedsausweis der Regierungspartei trägt. Nach innen versucht der ANC Südafrikas moderne Verfassung mit weitreichenden bürgerlichen Freiheiten zu modellieren. So muss laut Satzung die Hälfte der Mitglieder des allmächtigen Nationalen Exekutivkomitees (NEC) weiblich sein. Auch das sogenannte Arbeitskomitee, das die Beschlüsse des NEC umsetzt, hat einen Frauenanteil von mehr als 50 Prozent. Doch damit hört die Demokratie nach innen auf. Eine Erhebung der investigativen Wochenzeitung Mail&Guardian zeigt, dass ein Drittel der NEC-Mitglieder in einem Strafverfahren verurteilt wurde oder gegen sie ermittelt wird. In vielen Fällen geht es dabei um Korruptionsvorwürfe.

Gut gemeint, schlecht gemacht

Zuma-kritische Schlagzeilen in Johannesburg (Foto: AP)
In den Schlagzeilen: Präsident ZumaBild: AP

Dabei startete der ANC, dessen Mitglieder noch bis 2008 auf der US-Terrorliste standen, 1994 mit einem hoch ambitionierten Umverteilungsprogramm, das bezahlbaren Wohnraum und Arbeitsplätze für die jahrzehntelang benachteiligte schwarze Bevölkerungsmehrheit vorsah. Knapp drei Millionen neue Unterkünfte wurden seitdem gebaut. Doch schon früh überschattete Korruption das Wohnungsbauprogramm. Die "affirmative action"-Politik, die die Hautfarbe über die Qualifikation stellt, sorgte für einen verheerenden Aderlass in Verwaltung und Wirtschaft und wurde bald zu einer Versorgungsmaschine für politische Weggefährten und Parteigänger.

"Die alte, von Weißen dominierte Administration wurde entfernt und durch Mitarbeiter ersetzt, die nicht die entsprechenden Fähigkeiten und Erfahrungen hatten", kritisiert heute Moeletsi Mbeki. Der Journalist, Verleger und Geschäftsmann ist der Bruder des ehemaligen Präsidenten Thabo Mbeki und längst einer der schärfsten Kritiker des ANC. Diesem spricht er schlicht "Management-Fähigkeiten" ab. So harsch geht Mbeki mit den Regierenden ins Gericht, dass Journalisten des Staatssenders SABC gehalten sind, ihn nicht zu zitieren – auch das ist ein Zeichen für ein zweifelhaftes Demokratieverständnis der ehemaligen Freiheitskämpfer. Überhaupt, die Medien: Nicht nur Präsident Jacob Zuma steht mit der kritischen Presse des Landes auf Kriegsfuß. Zwar spielen ANC-Politiker gerne über Bande, wenn es darum geht, die heftigen Flügelkämpfe innerhalb der Partei über die Medien auszutragen. Doch wenn diese wieder eine neue Korruptionsaffäre aufdecken, hält sich die Begeisterung bei den Kadern in Grenzen.

Derweil sitzt die Parteispitze in internen Disziplinaranhörungen statt am Kabinettstisch, um verantwortungsvolle Politik zu machen. Der Dauerzwist zwischen dem machthungrigen Präsidenten der einflussreichen Jugendliga des ANC, Julius Malema, und Staatspräsident Jacob Zuma, stellt die Partei vor eine Zerreißprobe.

Entsprechend vernichtend fällt das Fazit von Hein Möllers, Südafrika-Experte der "Informationsstelle Südliches Afrika" (ISSA) aus: "Der ANC hat überhaupt nichts zu feiern." Vielmehr seien die Verdienste von Afrikas ältester Befreiungsbewegung seit 1996 hinfällig, die Wirtschaftspolitik des ANC sei ebenso gescheitert wie die soziale Umverteilung. "Südafrika hat die Regenbogennation nicht geschaffen", bilanziert der Journalist. Er spricht vielen Anti-Apartheid-Aktivisten in Europa aus der Seele, die sich zwei Jahrzehnte nach dem politischen Wandel am Kap um ihre Lobbyarbeit gebracht sehen.

Kritiker in den eigenen Reihen

Bürgerrechtler Denis Goldberg (Foto: Theo Bruns, Assoziation A)
Enttäuscht vom ANC: Freheitskämpfer Denis GoldbergBild: Theo Bruns, Assoziation A

Bitterer für die Jubilare um Präsident Zuma freilich ist die Kritik aus den eigenen Reihen. Der unlängst verstorbene Kader Asmal, ein hoch geschätzter Intellektueller und Vertrauter Nelson Mandelas, verließ 2008 frustriert die Politik. Das von der ANC-Regierung auf den Weg gebrachte sogenannte Sicherheitsgesetz, das Journalisten, Bürgerrechtler und andere kritische Geister mit drakonischen Freiheitsstrafen bedroht, kritisierte er als "entsetzlich" und "zutiefst fehlerbehaftet".

Auch Südafrikas weiße Anti-Apartheidikone Denis Goldberg zog sich 2004 enttäuscht aus der Politik zurück. Und das nach einem 22-jährigen Gefängnisaufenthalt für seinen Einsatz gegen das Apartheid-Regime. "Hätte ich ein Regierungsamt besetzt und gesagt, Kollegen, hört mit dem Blödsinn auf, hätten sie mich in kürzester Zeit hinausgeworfen." Mit dem ANC rechnet er seitdem immer wieder öffentlich ab. Heute sei die Partei allenfalls ein "Vehikel, um Wohlstand zu erlangen", kritisiert der Freiheitskämpfer. "Das steht im Gegensatz zu dem, wofür wir uns damals eingesetzt haben."

Zauderer Zuma

Jacob Zuma auf einem ANC-Kongress September 2010 (Foto: dpa)
Selbstgewiss trotz Kritik: Jacob ZumaBild: picture alliance / dpa

Der Fisch, ist allenthalben zu hören, stinke dabei vom Kopf. Präsident Jacob Zuma, der erste Zulu in der ansonsten von Xhosa dominierten Partei, wird ein unvorhersehbarer und viel zu nachsichtiger Führungsstil attestiert. Obwohl Zuma Südafrika in den exklusiven Club der BRICS-Staaten geführt hat und sich, wenngleich mit bescheidenem Erfolg, als Vermittler in afrikanischen Krisen versucht, wird er dem Land zunehmend zur Last. Längst hat ihn die nicht abreißende Serie von außerehelichen Affären politisch unmöglich gemacht. Stärke zeigte Zuma bisher nur auf öffentlichen Druck hin, wie Ende 2011, als er gleich zwei Minister und den Polizeichef entlassen musste.

Unlängst erklärte Südafrikas Staatsoberhaupt, der neben dem Amt ein engagierter Pastor der Gospelgemeinde ist, sein ANC werde so lange regieren, "bis Jesus zurückkehrt". Viele enttäuschte Südafrikaner hoffen, dass dies nicht weitere 100 Jahre dauern wird.

Autor: Ludger Schadomsky
Redaktion: Stefanie Duckstein