10 Jahre freie Fahrt durch die Arktis
Ende August 2008 konnten erstmals Schiffe das Nordpolarmeer durchfahren: Nordost- und Nordwestpassage waren gleichzeitig eisfrei. Der Klimawandel machte es möglich. Umweltschützer fürchten um das empfindliche Ökosystem.
Es werde Meer
Lange Zeit wagten sich nur Abenteurer und Forscher in die Arktis. Aber jetzt, wo das Eis schwindet, können auch Handelsschiffe hierhin vordringen. Der 29. August 2008 markierte einen Wendepunkt: Zum ersten Mal waren Nordost- und Nordwestpassage für einige Zeit gleichzeitig befahrbar, auch ohne Eisbrecher. Seitdem wird dieser schifffreundliche Zeitraum im Sommer immer länger.
Per Abkürzung vom Atlantik in den Pazifik
Die 6500 Kilometer lange Nordostpassage (Abbildung) führt von Asien an Russland und Norwegen vorbei und verbindet Atlantik und Pazifik. Die nur wenig kürzere Nordwestpassage führt an Kanada vorbei Richtung New York. Auf beiden Strecken durchqueren die Schiffe die Beringstraße und dann den Arktischen Ozean. Das geht eben nur, wenn dort die Eisdecke nicht den Weg versperrt.
Die Alternativen sind länger
Um von Rotterdam nach Tokio zu gelangen, fahren Schiffe derzeit an Indien vorbei und dann durch den Sueskanal in Ägypten. Das sind gut 6000 Kilometer mehr als durch die Nordostpassage. An die östliche US-Küste gelangen Schiffe von Asien aus über den Pazifik und dann durch den Panamakanal. Auch hier ist die Nordwestpassage über 4000 Kilometer kürzer.
Die Pioniere
Im Jahr 2009 schickte die damalige Bremer Beluga-Reederei erstmals zwei deutsche Schwergutfrachter durch die Nordostpassage. Seitdem ist der Schiffsverkehr in der Region gestiegen. Stark befahren sei das Nordpolarmeer derzeit trotzdem (noch) nicht, sagt Burkhard Lemper vom Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik in Bremen - allein, weil die Strecke nur zeitweise frei sei.
Freie Durchfahrt
Wie stark die Erwärmung rund um den Nordpol voranschreiten wird, kann kein Klimawissenschaftler sagen. Aber: "Alle sind sich einig, dass die Arktis in den nächsten 30 bis 50 Jahren eisfrei sein wird", sagt Meereis-Experte Christian Haas vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Als eisfrei bezeichnen Forscher die Arktis, wenn die Eisbedeckung im Sommer unter 1 Million Quadratkilometer sinkt.
Wie lange dauert die Ruhe noch?
Biologen fürchten um die einmalige Tierwelt in der Arktis, wenn mehr Schiffe dort verkehren. Belugawale, Grönlandwale und Walrosse etwa seien dann in Gefahr, schrieben US-Forscher im Juli in den "Proceedings" der US-Akademie der Wissenschaften. Sie hatten 80 Populationen von Meeressäugern untersucht und fanden, dass über die Hälfte von ihnen entlang der Nordost- und der Nordwestpassage leben.
Ganz besondere Bewohner
Die Wissenschaftler befürchten, dass vor allem Narwale unter dem Schiffsverkehr im Arktischen Ozean leiden könnten. Die Meeressäuger halten sich stets in der Nähe des Packeises an den Küsten auf. Auffällig ist der schraubenförmige Stoßzahn des Männchens, der bis zu drei Meter lang werden kann. Hier eine lebensgroße Nachbildung im Ozeaneum in Stralsund.
Vorbild Antarktis
Forscher und Umweltschützer fordern, endlich Richtlinien für die Schifffahrt in der Arktis festzulegen: Schiffe müssten die wichtigsten Jagdreviere der Wale meiden, ihre Fahrtzeiten an deren Wanderungen anpassen, Lärm und Geschwindigkeit reduzieren. "Das gibt es in der Arktis noch nicht - das ist der große Unterschied zur Antarktis", sagt Biologe Christian Bussau von Greenpeace.
Die Ruhe vor dem Sturm?
Gerade mal 50 Schiffe durchfahren nach Angaben von Greenpeace-Experte Bussau die Nordost- und die Nordwestpassage pro Jahr. Der Verband Deutscher Reeder spricht von einer Zahl im zweistelligen Bereich. "Die Zeit drängt trotzdem", meint Bussau. "Langfristig gesehen wird in der Arktis viel los sein." Doch bisher gibt es keine Umweltvorschriften für die Schifffahrt in dieser Region.