Von Mao zu Madonna
Von 1966 bis 1976 dauerte der Terror der Kulturrevolution. So massiv sie in das Leben eines jeden Chinesen eingriff, so wenig wird heute öffentlich über sie diskutiert. Auch 30 Jahre nach dem Tod Maos ist die Kulturrevolution offenbar ein schwarzer Fleck in der Geschichte Chinas; die Kommunistische Partei sperrt sich weiter gegen eine systematische Aufarbeitung. Stattdessen ergibt sich das Land einem beispiellosen Konsumrausch.
Ob und wie das Trauma der Kulturrevolution im heutigen Wirtschaftswunder-China nachwirkt, diskutierte eine internationale Expertenrunde im Rahmen der DW-Reihe "Dialog der Welt". Die Moderation hatte Matthias von Hein, Leiter des Chinesischen Programms von DW-RADIO.
Der jeweils spezifische biografische Hintergrund der Experten auf dem Podium prägte dabei wesentlich die Diskussion. „Wenn heute in China die Lieder der Kulturrevolution wieder gesunden werden, bedenken die meisten nicht, was diese Lieder damals bedeuteten“, meinte der in Deutschland lebende und publizierende Journalist Zhou Derong. „Das ist das Problem an dieser Nostalgie-Welle.“
Aus dem Publikum kam Widerspruch von einer Chinesin, Mitte 40: „Ich denke schon, dass die Leute mitdenken. Das Singen ist auch ein Symbol, eine Äußerung der Verarbeitung dieser Zeit.“
Kein angemessener Umgang mit den zehn Jahren nach 1966 sei dies, findet dagegen die in Deutschland lebende Philosophin Huan Xuewen. Dass junge Leute die Lieder singen, sei „von der Partei gelenkt“. Einspruch von Zhou Derong: „Die 50- und 60-Jährigen singen solche Lieder. Die Jungen singen Madonnas Lieder.“
Er sei jedoch fest davon überzeugt, dass die Kulturrevolution noch heute das Denken vieler Chinesen bestimme. „Die Stärke der Kommunisten besteht darin, dass sie eine bestimmte Kultur in unserem Denken geformt haben. Diese Denkmuster – aus denen kommen wir nicht raus“, so Derong.
Vor allem Künstler ermöglichen heute neue Perspektiven auf die Jahre der Kulturrevolution. Beispiel: Jiang Wens umstrittener Film „In the heat of the sun“ von 1994. Ein Film über Spaß, freie Liebe und Verwahrlosung, „eine Seite der Kulturrevolution, die so noch nicht gezeigt wurde. Das hat sehr viele Leute verletzt“, meinte die Kölner Sinologin Nora Sausmikat.
„Man kann heute schon manches sagen, was damals nicht möglich war. Aber es gibt eine Grenze. Und die setzt die kommunistische Partei“, ist Huan Xuewen überzeugt. Und Zhou Derongs Fazit: China sei in vielerlei Hinsicht viel kapitalistischer geworden. Verglichen damit herrsche in Deutschland „geradezu Sozialismus pur.“
Maik Meuser