Sierens China: Das Ende der Müll-Milliarden

Jahrelang exportierten die Industrienationen ihren Abfall nach China. Doch nun soll damit Schluss sein. China ist endgültig zu wohlhabend, um auf unseren Müll angewiesen zu sein, meint Frank Sieren.

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Für die chinesischen Rockmusiker war unser Müll ein Segen. Tonträger von Gruppen wie den Rolling Stones oder U2 waren in China bis in die 90er Jahre so gut wie nicht erhältlich. Trotzdem fanden sie ihren Weg ins Reich der Mitte - als Teil unseres Plastikabfalls, der in riesigen Containerschiffen zum Recycling nach China verfrachtet wurde. Fans wühlten die von Plattenfirmen entsorgten CDs und Kassetten aus den Halden und verkauften die oftmals unbeschädigte Ware in Untergrund-Plattenläden, wo sie von der ersten Generation chinesischer Rockmusiker wie Gold behandelt wurde.

Diese Zeiten sind jedoch lange vorbei. Westliche Musik wird heute vor allem online gehört. Und unseren Wohlstandsmüll will das selbst immer wohlhabendere China nicht einmal mehr geschenkt. Dabei wurde nicht nur die Rock-Subkultur, sondern auch Chinas Wirtschaftswunder zu einem beträchtlichen Teil auf Müll gebaut.

Die Hälfte des weltweiten Mülls geht nach China

Seit den frühen 90er Jahren ist China der weltweit größte Importeur von Abfall. China bezahlt für unseren Müll, um daraus Rohstoffe wie Kupfer, Eisen, Papier oder Plastik zu extrahieren, deren Herstellung im Vergleich zum Recycling aufwendig und teuer ist. Die Wiederaufbereitung von Stahl verbraucht zum Beispiel 60 Prozent weniger Energie als die Neugewinnung aus Eisenerz.

Hinzu kommt, dass China Rohstoffe lange nur in einer minderen Qualität herstellen konnte, die sich nicht zum recyceln eignete. Es war eine Win-win-Strategie die sich über die Jahre zu einem globalen Milliardengeschäft entwickelte. Mehr als 50 Prozent des weltweiten Müllvolumens ging zuletzt nach China, um dort wiederaufbereitet zu werden und zum Teil in Warenform in die Industrienationen zurückzukehren. Allein im vergangenen Jahr importierte die Volksrepublik 7,3 Millionen Tonnen Plastikmüll im Wert von 3,7 Milliarden Dollar. 

Doch damit soll jetzt Schluss sein. Gegenüber der Welthandelsorganisation WTO kündigte Peking im Sommer an, den Import von 24 Abfallarten bis zum Jahresende zu verbieten, darunter Metall- und Elektroschrott, Plastiksorten wie PET, PVC, Polyethylen, Asche, Wolle und Baumwollreste, Mischpapier sowie Schlacke aus der Stahlproduktion. Die Regierung nennt es abfällig "yang laji", "ausländischen Müll", der sich in der Summe negativ auf Chinas Umwelt ausgewirkt habe.

Volumen des eigenen Abfalls steigt

Das stimmt, liegt jedoch nicht nur am Müll, der tatsächlich oft toxisch verunreinigt in China ankommt. Viele chinesische Wiederaufbereitungsanlagen sind in privater Hand. Gerade kleinere Betriebe nahmen es in der Vergangenheit mit den Umweltauflagen nicht so genau, wie der 2016 veröffentlichte Dokumentarfilm "Plastic China" eindrücklich zeigte.

Frank Sieren *PROVISORISCH*
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Doch nicht nur unser Müll vergiftet die Umwelt der Chinesen, auch mit seinem eigenen Abfall hat das immer konsumfreudigere Land zu kämpfen. Mittlerweile fallen in China täglich mehr als 520.000 Tonnen an, das meiste davon wird verbrannt. In Zukunft möchte Peking neben umweltverträglicheren Verbrennungsanlagen verstärkt auf Recycling von Waren und Rohstoffen setzen, die im eigenen Land produziert wurden.

Bis es so weit ist, sollen die klangvoll "Operation Grüner Zaun" und "Nationales Schwert" getauften Initiativen Abhilfe schaffen, die die Einfuhr von ausländischem Müll besser kontrollieren und schädliche Materialien schon auf den Containerschiffen ausfindig machen sollen. Ein weiterer Schritt für eine nachhaltigere Umweltschutzpolitik, die Staats- und Parteichef Xi Jinping seiner Bevölkerung zuletzt beim 19. Parteitag versprochen hat.

Wohin soll der Müll jetzt?

Bislang ist unklar, wie drastisch die chinesische Regierung das Importverbot implementieren wird. Eins steht jedoch fest: Chinas verständliche Entscheidung wird schwerwiegende Konsequenzen für die Industrienationen haben. Sie werden nicht nur gezwungen sein, ihren Müll besser zu sortieren, sondern früher oder später auch vor dem Dilemma stehen, was sie mit ihrem Wohlstandsmüll anfangen sollen.

In vielen Müllexportländern existiert nur eine unzureichende Infrastruktur, um den gesamten Schrott und Müll der Wiederverwertung zuzuführen. Besonders in den USA, wo kaum Recycling betrieben, aber umso mehr konsumiert wird, ist es mitunter billiger, den Abfall nach China zu verschiffen, als ihn innerhalb des Landes von A nach B zu transportieren. Der Handel mit Metallen, Papier und Plastik ist aber auch ein wirtschaftlicher Faktor, vor allem auch für Europa, das sich seinen Müll bisher ebenfalls von den Chinesen bezahlen ließ.

Von den 2016 insgesamt 7,3 Millionen Tonnen nach China exportierten Plastikabfällen stammen allein 1,6 Millionen Tonnen aus Staaten der EU. Die chinesische Müllindustrie befürchtet hohe Verluste. Das Verbot wird auch Arbeitsplätze kosten. Doch Peking möchte, dass die Chinesen zukünftig verstärkt in der Serviceindustrie arbeiten.   

Schmutziges Spiel auf Zeit

Derzeit gibt es im Westen noch keine Pläne, wie man auf das Verbot reagieren soll. Man ist kalt erwischt worden. Mögliche Optionen wären der Ausbau der eigenen Lager- und Wiederaufbereitungskapazitäten oder die längst fällige Reduzierung von Müll in der Warenherstellungskette.

Wahrscheinlicher ist jedoch, dass uns in Zukunft andere asiatische Länder wie Indien, Bangladesch oder Vietnam anstelle von China als Mülldeponien dienen. Aber auch das wäre nur ein schmutziges Spiel auf Zeit. Die westliche Haltung "Aus den Augen, aus dem Sinn" ist jedenfalls beim Thema Müll nicht mehr durchsetzbar in Zeiten, in denen sich China als Konsumgesellschaft zunehmend seinen eigenen Problemen widmen muss.

Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über 20 Jahren in Peking.