Nächste Phase für EU-Flüchtlingshilfe
Knapp zwei Jahre liegt der Abschluss des EU-Türkei-Deals nun zurück. Seitdem hat das Thema vor allem für Provokationen von Politikern auf beiden Seiten der Ägäis gesorgt. Europäische Beamte in Ankara sehen aber die Hauptziele des Abkommens überwiegend als realisiert an.
Seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im März 2016 arbeiten die EU und die Türkei gemeinsam daran, die illegale Migration von der Türkei nach Europa zu stoppen und gleichzeitig die Lebensbedingungen der Flüchtlinge innerhalb der türkischen Grenzen zu verbessern.
Seit der Verabschiedung des Flüchtlingspakts ist die Zahl der in Griechenland ankommenden Flüchtlinge drastisch zurückgegangen, ebenso wie die Zahl der Todesfälle. Die humanitäre Hilfe der EU in Höhe von sechs Milliarden Euro hat eine breite Palette von Programmen ermöglicht. Diese sollen die dringendsten Bedürfnisse der Flüchtlinge in der Türkei decken - mehr als 3,2, Millionen von ihnen sind Syrer.
Was geschieht mit den weiteren Milliarden?
Die Hälfte des Geldes ist bereits bestimmten Projekten zugewiesen. Nach Angaben des EU-Botschafters in der Türkei, Christian Berger, haben EU-Abgeordnete und ihre türkischen Amtskollegen nun erste Gespräche geführt, wie die weiteren drei Milliarden Euro verteilt werden sollen. Dazu sollen in den kommenden Monaten beide Seiten, die von der EU finanzierten Programme in der Türkei bewerten. Die zielen bisher vor allem darauf ab, den Zugang zu Bildung, Wohnraum, Gesundheitsfürsorge und den Zugang zum Arbeitsmarkt für Flüchtlinge zu verbessern.
Trotz allem gibt es noch viele Lücken in dem Abkommen sowohl bei der Grenzsicherung als auch bei den Integrationsmaßnahmen. Die Mehrheit der Flüchtlinge geht weiterhin prekären Beschäftigungen nach und mehr als ein Drittel der syrischen Kinder besucht keine Schule. Der Deal war außerdem ein Spannungspunkt bei den jüngsten Streitigkeiten zwischen EU-Mitgliedern und der Türkei.
Angesichts der Tatsache, dass der syrische Konflikt nach sieben Jahren Krieg zu einer langwierigen Krise geworden sei, konzentriere sich die humanitäre Hilfe derzeit auf den Übergang von der Soforthilfe hin zu Integrationsprogrammen, um Perspektiven für die Syrer in der Türkei zu schaffen, sagt Berger im Gespräch mit der DW. Viele Syrer würden auch in den kommenden Jahren nicht in ihr Land zurückkehren, so der EU-Delegationsleiter. "Es gibt diese Statistik des UNHCR, die besagt, dass es etwa 15 Jahre dauert, bis eine Person das Land verlässt, in die Heimat zurückkehrt, sich niederlässt oder in einen Drittstaat weiterzieht", sagt Berger. "Wir sind also erst auf der Hälfte des Weges. Viele Menschen haben sich noch nicht entschieden, was sie tun werden."
Die größten von der EU finanzierten Programme haben sich bisher auf direkte Bargeldhilfe fokussiert, um syrischen Flüchtlingen den Neustart in der Türkei zu ermöglichen. Das Vorzeigeprojekt der EU ist das Emergency Social Safety Net (ESSN), das mehr als 1,1 Millionen Flüchtlingen mithilfe einer Debitkarte - bekannt als "Kizilay Karte" - jeden Monat mit einem Zuschuss versorgt. Die Karten werden dabei an berechtige Familien verteilt.
Zeit überbrücken
Neben ESSN finanziert die EU außerdem das Programm "Conditional Cash Transfer for Education" (CCTE), das mehr als 250.000 syrischen Kindern finanzielle Anreize schaffen soll, zur Schule zu gehen. Über dieselbe Debitkarte wird wie bei ESSN Geld an die jeweiligen Familien überwiesen. Beide Programme sollen den Syrern in der Türkei grundlegende Mittel zur Verfügung stellen und ihnen ein Gefühl der Stabilität vermitteln - viele von ihnen neigten nämlich dazu, häufig die Stadt, den Job oder die Schule zu wechseln - auf der Suche nach besseren Chancen.
Im Dezember wurden für beide Programme weitere 700 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Laut Berger sind solche Projekte als "Übergangsmaßnahmen" konzipiert, die irgendwann zwar wieder zurückgefahren werden, in einer Zeit, in der viele Syrer noch Türkisch lernen oder einen bessern Job suchen, aber ein wesentliches Einkommen liefern. "Die 'Kizilay-Karte' hilft, die Zeit zu überbrücken, bis die Syrer auf eigenen Beinen stehen können", sagt Berger.
Am Bedarf vorbei?
Obwohl die EU Sprachkurse für Erwachsene und Berufsprogramme finanziert, um Qualifizierungslücken zu schließen, fordert Berkay Mandiraci, türkischer Analyst für die International Crisis Group, bestimmte Initiativen zu verbessern, um die Syrer auch wirklich auf den lokalen Arbeitsmarkt vorzubereiten. "Die politischen Entscheidungsträger müssen sicherstellen, dass die vermittelten Fähigkeiten auch mit den lokalen Anforderungen des Arbeitsmarktes übereinstimmen", sagt Mandiraci. "Wir haben von Beispielen in Gaziantep gehört, wo Syrer eine Friseurausbildung bekamen, aber nach ihrem Abschluss keine Stelle bekommen haben, weil kein Bedarf bestand."
Probleme gibt es auch weiterhin mit der Überlastung der Migrationszentren auf den griechischen Inseln und den direkten Umsiedlungsplänen von der Türkei nach Europa, die nach Ansicht einiger Analysten langsamer als anfangs erwartet abgewickelt wurden. "Die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU sind in den vergangenen Jahren nicht die besten gewesen und die Situation verschärft sich", sagt Metin Corabatir, Leiter des in Ankara ansässigen Forschungszentrums für Asyl und Migration (IGAM). "Allerdings ist die Migrationsfrage zu einem der wenigen Themen geworden, die die Dialogbereitschaft zwischen beiden Seiten offenhält."