Erlösemodelle für die digitale Zukunft der Medien
Noch nie mussten sich Medienorganisationen so radikal und schnell anpassen. Einige stellen ihre Geschäftsmodelle auf den Kopf – experimentieren mit Paywalls, Abonnement-Modellen und gezielter Werbung - und liefern gleichzeitig das, was ihr Publikum tatsächlich sehen, hören und lesen will.
An der zehnten digitalen Sitzung des Deutsche Welle Global Media Forums nahmen drei Medienexpert*innen teil, die bei der Bewältigung dieser Herausforderungen an vorderster Front stehen: Samir Patil, der Gründer und CEO von ScrollStack, einem "open marketplace for creators", wie sie sich selbst bezeichnen; Nicholas Johnston, Chefredakteur von Axios, einer rein digitalen Nachrichtenredaktion mit Sitz in den USA; und Imme Baumüller, Direktorin für Datentechnologie & Business Intelligence bei der deutschen Mediengruppe Handelsblatt. DW-Moderator und Journalist Sertan Sanderson führte durch die lebhafte Diskussion.
Neue Wettbewerber im Visier
"Der Übergang zur digitalen Bereitstellung von Inhalten auf unseren Smartphones hat enorme Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle der Medien. Unsere Geräte ermöglichen uns Zugang zu allem", sagte Nick Johnston zu Beginn der Diskussion. Dies bedeute, dass die Konkurrenten nicht mehr nur Medienunternehmen seien: „Zu ihnen gehören jetzt auch Amazon, Tinder und Netflix, da die intellektuelle Währung - um die es geht - nicht mehr Nachrichten sind, sondern die Aufmerksamkeitsspannen der Menschen."
Medienmacher konkurrierten gegen "eine unendliche Anzahl von Apps", erklärte Johnston weiter. "Alles, was ein Mensch tun muss, ist, seinen Daumen einen viertel Zoll auf den Bildschirmen seines Smartphones zu bewegen.“ Damit diese Daumen sich auf dem Display nicht verirren, habe sich sein Team auf das Wichtigste konzentriert: die Tatsache, dass der Leser nur wenig Zeit hat.
"Die Leser sagten uns, dass sie dieses ganze Zeug nicht lesen wollten", so Johnston. "Also haben wir versucht, die Geschichten zu kürzen und so viele Informationen wie möglich in die ersten 150 Wörter zu packen, was in etwa auf den ersten Bildschirm eines Smartphones passt."
Technologie vs. Tradition
Der Wettbewerb sei deutlich härter geworden, stimmte Dr. Imme Baumüller vom Handelsblatt zu. Hinzu komme, dass die Medienbranche mit den Außenseitern Schritt halten müsse, die nun die Treiber des Wandels seien: "Man muss ein Technologieunternehmen sein und kein klassisches Medienunternehmen", betonte Baumüller."Journalisten müssen wirklich an der Spitze der Technologie stehen. Inhalte müssen sehr schnell sein, und man muss eine große Benutzerfreundlichkeit haben, um die Menschen zu begeistern."
Wie viele traditionellen Medien verdiente das Handelsblatt früher das meiste Geld hmit Anzeigen. Heute nutzt es ein Abonnement-Modell. Das heißt: digitale Newsletter und eine Paywall. Laut Baumüller sei diese die "härteste" in Deutschland – zum Preise von 50 Euro im Monat pro Nutzer.
Die Nachrichtenwebsite scroll.in hat ebenfalls zum Teil eine Paywall, verwendet sonst aber ein anderes Modell als das Handelsblatt. Samir Patil zeigte sich überzeugt, dass man erfolgreich sein könne, solange Medienunternehmen nicht den Fehler machen, ihre eigenen Plattformen aufzugeben - wie sie es in der werbefinanzierten Welt getan haben.
Er fügte hinzu, es sei klar, dass das Publikum bereit sei, für qualitativ hochwertige Nischeninhalte online zu bezahlen, und dass Medienunternehmen sich auf diese Lektion konzentrieren sollten: "In den 1990er-Jahren sagten die Leute: 'Wer würde schon im Internet werben?' Und dann hieß es: 'Wer würde im Internet bezahlen?' Aber jetzt ist es möglich, als Mindestzahlung nur 15 Cent in Indien und 1 Dollar in den USA zu verlangen", erklärte er.
"Ich denke, wir stehen am Anfang vom Ende des Pessimismus darüber, ob die Menschen für vertrauenswürdige Medien bezahlen würden. Alles in den vergangenen acht bis zehn Jahren deutet darauf hin, dass die Menschen bereit sind, zu zahlen, sobald man Innovationen im Format oder in der Form hat, und sobald man die Art von tiefer Berichterstattung anbietet, die den Lesern wichtig ist."
Werbung gezielt einsetzen
Laut Patil hat der Übergang zu "digital first" und "mobile first" die Totenglocke für die Internet-Werbung als Einkommensmodell geläutet – selbst für große Medienunternehmen. Genau dieses Modell funktioniert jedoch für Axios: "Der Schlüssel liegt hier darin, dass sie nicht dem grössten Maßstab nachjagen, sondern Werbung zielgerichtet einsetzen", erklärte Johnston.
"Es gibt einfach keine Möglichkeit, mit Facebook und Google um Werbung zu konkurrieren. Aber wenn man nicht mit demselben Markt konkurriert, kann man ein wertvolles werbebasiertes Modell aufbauen", meinte Johnston. "Wir werden nie in der Lage sein, 500 Millionen Menschen wie Facebook und Google zu erreichen. Aber wir sind tatsächlich in der Lage, die Millionen Menschen zu erreichen, die die tägliche Nachrichtenzusammenfassung Axios AM jeden Morgen lesen. Und wir sind in der Lage, den Werbetreibenden zu erklären, dass dies ein sehr wertvolles Publikum ist."
Kampf gegen die Giganten
Technikgiganten wie Facebook und Google sind vielen Medienunternehmen – darunter auch dem Handelsblatt – nach wie vor ein Dorn im Auge. Gleichzeitig könne es indirekt auch einen positiven Effekt geben, so Baumüller: "Diese Giganten treiben alles voran, was gerade passiert. Also sind sie vielleicht gut für das Geschäft, weil sie die Art und Weise verändern, wie wir denken und handeln."
Währenddessen seien Aufrufe, die Tech-Giganten in Bezug auf die Art und Weise zu regulieren, wie sie Nachrichten kostenlos auf ihren Feeds oder in ihren Suchergebnissen verwenden, fehlgeleitet, so Patil: "Wir müssen in der Lage sein, ein funktionierendes Geschäftsmodell zu finden – und der Versuch, Big Tech umzuhauen, kann hier nicht die Antwort sein."
Ein Teil der Antwort könnte darin bestehen, Plattformen wie Facebook zu ignorieren, indem man eine direkte Beziehung zu dem Publikum aufbaut, die komplett unabhängig ist, so Johnston: "Wenn Sie sich auf einen Facebook-Algorithmus verlassen, um Ihre Leser zu erreichen, werden Sie in Schwierigkeiten geraten, denn eines Tages wird Facebook einen Knopf an diesem Algorithmus drehen – und alle Ihre Leser werden dann plötzlich verschwinden", mahnte er.
Das Ende der Printmedien
Da viele Menschen sich darin einig sind, dass die Zukunft der Medien digital sein wird, sei es denn dann zu früh, den Tod der Printmedien anzukündigen, wollte Monderator Sertan Sanderson wissen. Für Imme Baumüller sei die ein wenig zu voreilig, da das Handelsblatt zumindest immer noch "gutes Geld" mit dem Verkauf von Printausgaben verdiene.
Johnston, der eine rein digitale Redaktion betreibt, meinte, dass die klassisch gedruckte Tageszeitung wenig Sinn mache, wenn Informationen doch einfach und schnell auf das Handy gebracht werden könnten. Zugleich wies er darauf hin, dass die Buchverkäufe in den USA derzeit einen Rekordstand erreicht haben trotz der Beliebtheit von e-readern: "Print ist ein hervorragender Mechanismus, um Informationen zu konsumieren, wenn es sich nicht gerade um unmittelbare und aktuelle Informationen handelt", sagte er.
Für Patil sei es nur eine Frage der Zeit, bis digitale Plattformen in der Lage sein würden, bestimmte Designfragen zu klären, die den Printmedien einen Vorteil verschaffen. Zu diesem Zeitpunkt "wird Print in ein Luxus-Subsegment zurückfallen, so wie die Leute, die in zehn Jahren immer noch LP-Platten […] hören wollen," sagte er gegenüber der DW.
Der Schlüssel zum Erfolg
Was bedeutet das alles aber für Journalisten, die eine Karriere in einer von den neuen Medien dominierten Welt beginnen möchten? Laut Johnston sei es unter anderem wichtig zu versuchen, die damit verbundenen Geschäftsmodelle gut zu verstehen, anstatt sie als weniger bedeutend als die journalistische Sache für sich zu betrachten – so wie es in der Vergangenheit der Fall war.
Baumüllers Ansicht nach sollten Journalisten, die am Anfang ihrer Karriere stehen, so viele technische und datentechnische Fertigkeiten wie möglich erlernen: "Lernen Sie, in Python oder etwas Ähnlichem zu programmieren. Solch großartige Technologien sind der Schlüssel zum großartigem Journalismus der Zukunft", meinte sie gegenüber dem Panel.
Gleichzeitig dürfe man die Vergangenheit nicht abtun, warnte Patil: "Ich sehe viele Leute, die tatsächlich die technischen Fähigkeiten haben, aber das alte Modell verachten. Ich würde aber auch für einen gewissen Respekt den alten Modellen gegenüber plädieren. Schliesslich waren sie die Vorreiter und hatten einige sehr gute Merkmale, die wir mittlerweile verloren haben."