Die Auferstehung der Nördlichen Breitmaulnashörner?

Zwei Embryonen - ein neues Lebenszeichen der Nördlichen Breitmaulnashörner! Doch wie kann aus zwei Weibchen eine ganze Herde werden?

Nördliches Breitmaulnashorn - künstliche Befruchtung
Bild: BioRescue

Die Unterart ist eigentlich faktisch tot. Nur noch zwei Weibchen sind übrig, zwei Nördliche Breitmaulnashorndamen. Najin, 30 Jahre alt, und ihre 19-jährige Tochter Fatu. Beide leben im Ol Pejeta Nationalpark in Kenia. Doch die internationale Forschungsgruppe BioRescue wollte das so nicht hinnehmen und versucht, das Nördliche Breitmaulnashorn zu retten. Ende August konnte sie beiden Weibchen Eizellen entnehmen und sie im Labor befruchten - mit Sperma, das die Forschenden gerade rechtzeitig gewonnen und eingefroren hatten, bevor die letzten vier Männchen starben. Ein erstmaliger Eingriff bei solchen bedrohten Tierarten. Nun vermeldet das Team einen großen Erfolg: Es haben sich zwei Embryonen entwickelt. Doch wie geht es nun weiter? Ein Interview mit Thomas Hildebrandt, dem Leiter des Forschungsprojekts BioRescue.

Deutsche Welle: Wie geht es den beiden Nashorndamen Najin und Fatu nach der Eizellentnahme?

Thomas Hildebrandt: Wir sind sehr erleichtert aus Kenia zurückgekommen, weil dieser hochkomplizierte Eingriff sehr erfolgreich funktioniert hat. Beide Tiere haben sich sofort nach der Narkose wieder dem Fressen gewidmet, und sich ein Schlammbad gegönnt.

Kenia Prof. Dr. Robert Hermes, Prof. Dr. Thomas B. Hildebrandt und Dr. Susanne Holtze mit Breitmaulnashorn
Thomas Hildebrandt (in der Mitte) bei der Eizellentnahme, neben ihm Robert Hermes und Susanne Holtze vom IZW Bild: picture-alliance/AP Photo/Ol Pejeta Conservancy/A. Vitale

Und Sie haben die Eizellen eingepackt und sind sofort losgeflogen nach Italien ins Labor. Zehn Eizellen hatten Sie im Gepäck. Und nun sind zwei Embryonen heraus gekommen - neues Leben.

Sieben von diesen Eizellen waren in hervorragender Qualität. Aus diesen sieben Eizellen entstanden glücklicherweise zwei Blastozysten - das sind frühe Embryonen, die ein extrem hohes Potenzial haben, sich in ein Baby zu entwickeln. Das ist das Endergebnis. Neues Leben, neue Hoffnung für diese Art.

Künstliche Befruchtung ist ja nichts Neues, in der Humanmedizin funktioniert es gut. Warum ist es bei Nashörnern so schwierig?

Beim Nördlichen Breitmaulnashorn ist es so, dass das Sperma fast tot ist, was wir zur Verfügung haben. Es muss nach der Verbringung in die Eizelle aktiviert werden. Das ist ein ganz spezielles Verfahren, was unsere italienischen Kollegen entwickelt haben. Und man muss auch wissen, dass die Eizelle von einem Nashorn eine andere Plastizität hat, als eine humane Eizelle. Man kann mit einer scharfen Kanüle dort nicht einstechen, sondern man braucht eine Art Mikrohammer, eine Art Presslufthammer. Das nennt man Piezo Drilling. Das müssen wir beim Nashorn einsetzen, um das Spermium und die Eizelle zusammenzubringen.

Nördliches Breitmaulnashorn
Najin und Fatu, die letzten beiden Nördlichen Breitmaulnashörner Bild: BioRescue/Ami Vitale

Beide Nashornweibchen, Najin und Fatu, sind ja zu krank, um die Jungtiere selbst auszutragen. Die Embryonen sollen nahen Verwandten eingepflanzt werden - einer Südlichen Breitmaulnashornkuh. Von denen gibt es noch über 20.000 Tiere in Afrika. Wenn alles gut geht - wann wollen Sie das erste neue Nördliche Breitmaulnashorn zur Welt bringen?

Wir haben einen erheblichen Zeitdruck und der kommt nicht von irgendwelchen administrativen Seiten. Es kommt rein von der biologischen Seite nämlich dem Alter von Najin und Fatu. Denn was ganz wichtig ist: Sie sind natürlich Nördliche Breitmaulnashörner. Und sie sollen auf jeden Fall dieses Wissen, wie man sich als Nördliches Breitmaulnashorn verhält, an unsere Nachkommen weitergeben. Das ist unser Zeitdruck. Eine Schwangerschaft dauert 16 Monate. Diese Zeit müssen wir erst einmal dazurechnen. Wann wir den ersten Embryo erfolgreich transferieren können, das steht noch in den Sternen. Wir selbst haben uns vorgenommen, dass die erste Geburt in den nächsten drei Jahren stattfinden sollte. Das ist sehr ambitioniert. Viele Menschen sagen, wir sind Träumer. Aber wir waren extrem erfolgreich mit harten wissenschaftlichen Daten.

Nördliches Breitmaulnashorn - künstliche Befruchtung
Fatus Eizellen warten auf die Befruchtung Bild: BioRescue/Ami Vitale

Angenommen, alles klappt, ein Nashornbaby kommt zur Welt. Wie geht es dann weiter? Bei Eizellen von zwei Weibchen und Samenzellen von vier Bullen - ist da der Genpool nicht viel zu klein, um eine gesunde Population sozusagen neu zu erschaffen?

Ja, wir brauchen einen völlig separaten Weg. Das ist die Stammzelltechnologie. Das bedeutet, man produziert aus Hautzellen eine Zellkultur. Diese wird dann mit speziellen Faktoren so manipuliert, dass sie sich in embryonale Zellen umwandelt. Also in Urzellen, Alleskönner, die sich in Organe entwickeln können - in Augen, in Leber, in Nieren.

Das ist eine Technologie, die insbesondere in der Humanmedizin einen Aufschwung erlebt, weil man mit ihr Organe züchten kann. Man kann aber aus diesen Alleskönnern auch Gonaden - also die Eierstöcke und die Hoden züchten - die dann im Reagenzglas Spermien und Eizellen produzieren können.

Das ist der Weg, den wir beim Nördlichen Breitmaulnashorn gehen wollen. Wir haben noch zwölf nicht verwandte Hautzellproben, die genau nach diesem Muster bearbeitet werden und dann hätten wir sozusagen Spermien und Eizellen von zwölf nicht verwandten Tieren, die wir mit denen, die jetzt noch leben - Najin und Fatu - zusammenbringen können.

 Letzte Nördliche Breitmaulnashorn Weibchen
Wird aus Zwei bald eine Herde? Najin und Fatu im Ol Pejeta Nationalpark in Kenia Bild: Getty Images/AFP/T. Karumba

Und das ist realistisch? Reichen die zusammengenommen 18 Tiere, um eine neue Population zu erschaffen?

Es gibt schon theoretische Berechnungen von unseren amerikanischen Kollegen in San Diego, die aufgezeigt haben, dass das genetische Potenzial dieser beiden Technologien ausreicht, um eine wirklich gesunde genetische Population zu erzeugen.

Das ist sehr futuristisch und es wird keine Lösung in den nächsten zwei, drei Jahren sein. Aber es zeigt einen völlig neuen Ansatz für den Artenschutz. Vor zehn Jahren hätte man die Hände in die Taschen gesteckt und gesagt: Ja, da haben wir wieder eine Art ausgerottet. Aber eine zwei-Tonnen-Art, die eine Schlüsselrolle in einem sehr komplexen Ökosystem im zentralen Afrika spielt, dürfen wir so nicht gehen lassen. Wir müssen als Wissenschaftler neue Lösungen finden und das haben wir, denke ich, auch sehr eindrucksvoll gezeigt.

Nördliches Breitmaulnashorn - künstliche Befruchtung
Eine Eizelle der letzten beiden Nördlichen Breitmaulnashorndamen wird befruchtet Bild: BioRescue/Ami Vitale

Können wir so auch tote Arten wiederbeleben? Das Mammut zum Beispiel?

Das Mammut ist natürlich eine sehr attraktive Art. Aber für uns als Artenschützer wäre das mehr eine Show.

Sie würden nie ein gesundes Potenzial an fortpflanzungsfähigen Tieren erzeugen können. Man kann vielleicht ein Tier durch Klonen erzeugen. Es wird auch von amerikanischen Experten wie George Church angeregt, dass man über CRISPR/Cas, also das Gene Editing, letztendlich den Asiatischen Elefanten so ummodelt, dass er sich in ein Mammut entwickelt.

Das sind alles Grenzfälle, die für den Artenschutz in keinster Weise relevant sind. Der Mammut ist vor gut 10.000 Jahren ausgestorben, in einigen sibirischen Inseln vor 3000 Jahren. Ich glaube, wir sollten das bewahren, was wir heute noch auf unserem Planeten haben und dafür unsere Ressourcen einsetzen.

Ist es das alles wert?

Die Evolution ist ja charakterisiert durch das Aussterben von Tieren. Aber diese Tiere haben nicht verloren in der Evolution. Sie sind nur nicht kugelsicher, weil man sie abschießt, weil die Schildkröte gut schmeckt, weil das Horn möglicherweise medizinische Wirkungen hat oder andere Dinge, die dazu führen, dass kriminelle Aktivitäten mit den Ressourcen unseres Planeten so umgehen und sich eigentlich gar nicht bewusst sind, welche riesigen Löcher damit gerissen werden.

Wenn man ein Nashorn aus einem Habitat herausnimmt, schädigt man hunderte andere Tierarten, die eigentlich gar nicht im Fokus der Wilderer sind. Aber die werden genauso davon betroffen sein, wenn die Pflanzen nicht mehr von den Nashörnern gefressen werden, der Samen nicht mehr verteilt wird, die Insekten den Kot nicht mehr nutzen können, die Fledermäuse die Insekten nicht mehr fressen können.

Das ist eine riesige Kaskade. Und ich denke, es ist wichtig, eine holistische Sichtweise auf unseren Planeten zu bekommen und mit den Ressourcen viel besser umzugehen.

Thomas Hildebrandt arbeitet am Leibniz-Institut für Zoo-und Wildtierforschung (IZW) und ist Leiter des Forschungsprojekts BioRescue. 

Das Interview führte Lea Albrecht