Der hohe Preis der Wahrheit: Afrikas Whistleblower
Am helllichten Tag wird Babita Deokaran vor ihrem Haus in Johannesburg erschossen. Gerade erst hat sie ihre Tochter an der Schule abgesetzt, als ein Auto neben ihr hält und ein Kugelhagel auf ihr Fahrzeug niedergeht. Deokaran stirbt am selben Tag, dem 23. August 2021, im Krankenhaus.
Die 53-jährige Südafrikanerin war als Finanzdirektorin der Gesundheitsbehörde in der Gauteng-Provinz mehrfach als Whistleblowerin aufgetreten. Wie die südafrikanische Sonderermittlungseinheit bestätigte, war sie eine wichtige Zeugin bei den laufenden Ermittlungen zur überteuerten Beschaffung von COVID-19-Schutzkleidung. In der Korruptionsaffäre, die zurzeit vor Gericht verhandelt wird, geht es um rund 20 Millionen Euro.
Schlüssel zur Korruptionsbekämpfung
Immer wieder kommt Whistleblowern in Südafrika ihr Kampf für Gerechtigkeit teuer zu stehen. Dabei sind sie der Schlüssel zur Korruptionsbekämpfung - in einem Land, das auf dem Index der Korruptionswahrnehmung Platz 70 von 180 belegt. Die 22-köpfige Gruppierung Whistleblowers for Change betont, dass Informantinnen und Informanten für ihren Mut mit Schikanierung, Entlassung, Gewalt und auch Mord rechnen müssen.
Auch Athol Williams ist auf das Schlimmste gefasst. Der Whistleblower sagte im März 2021 vor der so genannten Zondo-Kommission zu Unternehmen und Einzelpersonen aus, die im Verdacht der "State Capture" stehen, dem Verdacht also, die Gesetzgebung oder politische Entscheidungen durch Korruption beeinflusst zu haben. Die gerichtliche Untersuchungskommission wurde 2018 vom damaligen Präsidenten Jacob Zuma eingesetzt, um Vorwürfe von State Capture, Korruption und Betrug im öffentlichen Sektor zu untersuchen.
"Warum werde ich geächtet?"
"Alle südafrikanischen Whistleblower, die State Capture enttarnen, leben in Angst", schreibt Williams in einer Mail an die DW. "Angst um ihre körperliche Unversehrtheit, weil die Regierung keinen Schutz bietet, Angst vor rechtlichen Schritten, weil das südafrikanische Recht keinen ausreichenden Schutz bietet, und Angst, dass sie ihre Familien nicht ernähren können, weil sie mit einem negativen Stigma behaftet sind, das dazu führt, dass Unternehmen sich weigern, sie einzustellen."
Er habe aus Angst um sein Leben aus Südafrika fliehen müssen. "Ich bin jetzt seit vier Monaten außerhalb von Südafrika gestrandet und habe immer noch keinerlei Unterstützung oder Schutz von der südafrikanischen Regierung oder der Geschäftswelt erhalten, obwohl ich immer wieder darum gebeten habe und sie mir immer wieder öffentliche Versprechen gemacht haben", so Williams. "Ich wurde im Stich gelassen und bin verzweifelt. Warum werde ich weiterhin geächtet, nur weil ich will, dass die Hauptakteure von State Capture zur Rechenschaft gezogen werden?"
Mord und Todesstrafe
Vielen Whistleblowern in Afrika droht noch Schlimmeres. In Mauritius wurde im Oktober 2020 die halb verkohlte Leiche von Soopramanien Kistnen entdeckt, Bauunternehmer und ehemaliges Mitglied des Mouvement Socialiste Militant - der Mehrheitspartei in der Regierungskoalition des Landes. Es stellte sich heraus, dass Kistnen vor seinem Tod im Begriff war, einen Korruptionsskandal aufzudecken, bei dem es um den Kauf von Schutzkleidung durch die Regierung ging.
In der Demokratischen Republik Kongo (DRK) wurden die Whistleblower Gradi Koko Lobanga und Navy Malela in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Sie hatten im Juli 2020 den israelischen Bergbau-Milliardär Dan Gertler enttarnt, der ein Geldwäschenetzwerk nutzte, das sich von der DRK bis nach Europa und Israel erstreckt, um die gegen ihn verhängten US-Sanktionen zu umgehen. Die Afriland First Bank beschuldigte daraufhin ihre beiden ehemaligen Mitarbeiter des "Diebstahls von Dokumenten, der Verletzung des Bankgeheimnisses, der Fälschung und der Verwendung von Fälschungen sowie der verleumderischen Denunziation, alles in einer organisierten Bande".
Afrikas Whistleblower sind ungeschützt
In vielen afrikanischen Ländern schneidet die Gesetzgebung zum Schutz von Whistleblowern miserabel ab: Nur sieben von 54 afrikanischen Ländern haben laut der UN-Organisation für die Bekämpfung von Drogen und Kriminalität (UNODC) überhaupt Gesetze verabschiedet - doch auch diese existieren oft nur auf dem Papier.
Ghanas Whistleblower-Gesetz zählt zwar zu den stärksten in Afrika und bietet rechtlichen Schutz, doch es fehlen Bestimmungen für anonyme Meldungen oder für die Bestrafung von Vergeltungsmaßnahmen gegen Whistleblower. Und in Nigeria, Afrikas größter Volkswirtschaft, gibt es praktisch kein Gesetz zum Schutz von Whistleblowern. Nur für Staatsbeamte greife eine Regelung, wie die Plattform zum Schutz von Whistleblowern in Afrika PPLAAF angibt.
"Die Gesetzgebung ist nichts wert"
Auch in Südafrika habe das Gesetz große Lücken, sagt Johann van Loggerenberg. Er deckte zwischen 2010 und 2014 eine Reihe von Vorgängen auf, bei denen Gruppierungen und Individuen Ermittlungen der südafrikanischen Steuerbehörde sabotierten. "Das Gesetz verpflichtet den Staat nicht, Whistleblowern Schutz und Unterstützung zu gewähren", kritisiert van Loggerenberg. "Wir müssen es ernsthaft überarbeiten. Und das ist nicht nur eine rechtliche Lösung. Wir brauchen ein ganzes System."
Williams, van Loggerenberg und viele andere hoffen nun auf die Umsetzung von Vorschlägen, die die Zondo-Kommission zum Abschluss ihrer Tätigkeit Anfang 2022 veröffentlicht hat, wie die Einführung einer Anti-Korruptions-Behörde, stärkere Gesetze zum Schutz von Whistleblowern und die Verpflichtung von Unternehmen des privaten Sektors, Maßnahmen gegen Bestechung einzuleiten. "Ich glaube nicht, dass das ausreicht", so van Loggerenberg. "Aber es ist ein Anfang von etwas, das letztendlich ein fester Bestandteil unseres Justizsystems zur Bekämpfung von Korruption und Betrug sein wird."
Gute Taten gegen Geld?
Die Zondo-Kommission empfiehlt zudem, dass "ein fester Prozentsatz der wiedererlangten Gelder an die Whistleblower ausgezahlt" wird. Das unterstützt van Loggerenberg nicht. "Whistleblower brauchen Unterstützung für den juristischen Kampf, und um Essen auf den Tisch stellen zu können. Man kann in zusätzliche Ausbildung oder medizinische Kosten investieren. Aber mich beunruhigteine Gesellschaft, die sagt: 'Wir müssen bezahlt werden, um Gutes zu tun'."
Cynthia Stimpel, die 2016 eine unrechtmäßige 15-Millionen-Euro-Transaktion bei der Fluggesellschaft South African Airways aufdeckte, ist anderer Meinung. Eine finanzielle Prämie könne Whistleblowern durch eine harte Zukunft helfen, argumentiert sie. "Auszeichnungen können für die Anerkennung von Whistleblowern verwendet werden. Das ist der beste und einfachste Weg, Whistleblowern zu helfen." Und zu helfen sei etwas, das der Staat bisher versäumt habe.
Whistleblower für Whistleblower
Die Whistleblowerin glaubt jedoch auch an Eigeninitiative. Im Februar gründete sie gemeinsam mit Gleichgesinnten das Whistleblower House. Hier können sich Whistleblower melden, die Rechtsbeistand, Unterstützung bei der Ergreifung von Schutzmaßnahmen, finanzielle oder psychologische Hilfe benötigen. Stimpel hofft, so auch eine Anlaufstelle für Südafrikanerinnen und Südafrikaner zu bieten, die Missstände aufdecken wollen.
"Ich möchte jeden dazu ermutigen, sich zu Wort zu melden, wenn er ein Fehlverhalten bemerkt", so Stimpel. "Jeder von uns kann einen Unterschied machen. Wir müssen Einfluss nehmen für eine bessere, ethische Gesellschaft."
Johann van Loggerenberg stimmt dem zu. "Die Welt braucht Whistleblower. Keine Demokratie kann ohne Menschen überleben, die handeln, wenn sie sehen, dass etwas schief läuft." Er glaube an die Zukunft Südafrikas und hoffe, dass das Schicksal vieler afrikanischer Whistleblower niemanden davon abhalte, das Richtige zu tun. Denn die Furcht vor Konsequenzen schaffe nur einen Nährboden für noch mehr Korruption und Verbrechen.